Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
auch auf Englisch erschien unter dem Titel »Theology for the Third Millennium. An Ecumenical View«.
Inzwischen war ich im großen Stil in die Thematik Christentum und Weltreligionen eingestiegen. Diese hatte sich für mich schon mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und jenem wissenschaftlichen Symposion in Bombay 1964 eröffnet und dann eine Entfaltung gefunden in den Büchern »Christ sein« (1974: Die Herausforderung der Weltreligionen) und »Existiert Gott?« (1978: Der Gott der nichtchristlichen Religionen). Alle meine früheren Erfahrungen fließen nun ein und werden geklärt in meinen Dialogvorlesungen über Christentum und Weltreligionen, die ich seit dem Sommersemester 1982 in Tübingen halte. Sie bilden für mich die Grundlage für meine (natürlich englischsprachigen) Vorlesungen an der University of Michigan in Ann Arbor und später an der University of Toronto.
Ein gewagtes Dialogexperiment
Es war ein kühner Plan, der sich nur gut überlegt und sorgfältig vorbereitet realisieren ließ: je vier Dialogvorlesungen über Islam, Hinduismus und Buddhismus! Bisher war es nicht üblich, dass zwei Professoren verschiedener Disziplinen mehrere Vorlesungen im Dialog halten: In jeweils zwei Stunden Referat – Korreferat – Diskussion. Und dies nicht in einem exklusiven Spezialistenkreis, sondern im »Studium generale« vor einem großen Zuhörerkreis von Professoren, Studenten und allgemeinem Publikum. Solche Vorlesungen müssen auf hohem wissenschaftlichem Niveau und doch allgemein verständlich sein. Viele Professoren wagen sich an ein solches Unternehmen gar nicht heran.
Besonders problematisch erschien ein solcher Dialog zweifellos zwischen einem Theologen und einem Religionswissenschaftler. Im Nachhinein höre ich denn auch, ein Religionswissenschaftler – früher Theologe! – habe in der Fakultät grundsätzlich Einspruch erhoben gegen ein solches Unternehmen: Der Dialog eines Vertreters der Religionswissenschaft mit einem Vertreter der christlichen Theologie sei geradezu unmöglich, da der Erste voraussetzungsfrei arbeite, der Zweite aber dogmatisch gebunden.
Dies schien mir ein überholter Standpunkt zu sein. Im frühen 20. Jahrhundert hatte sich der von mir verehrte protestantische Theologe Karl Barth zu Recht gegen die Einebnung und Auflösung der Theologie in Religionswissenschaft zur Wehr gesetzt. Aber die Abkapselung der Theologie von der Religionswissenschaft, wie von manchen »Barthianern« vertreten, lässt sich auf die Dauer in der pluralistischen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufrechterhalten. Und ich selber dürfte ja auch gezeigt haben, dass man eine Theologie treiben kann, die auf den christlichen Glaubensurkunden von Bibel und Tradition aufruht und die doch frei ist, in aller unvoreingenommenen Loyalität Bibel-, Dogmen- und Kirchenkritik zu üben.
Umgekehrt ist es sicher nicht nur meine Erfahrung, dass Religionswissenschaftler keineswegs immer völlig »neutral«, »objektiv«, »vorurteilsfrei« sind. Jede Erkenntnis ist nun einmal von »Interessen« geleitet. Und nicht zuletzt Extheologen können uneingestandene Interessen, so etwas wie eine »hidden agenda«, haben, die sie bisweilen in hämischen Leserbriefen vertreten. Doch nicht immer versteht derjenige eine Religion, die nun einmal im Herzen der Menschen eingeschrieben ist, am besten, dem sie keine Herzensangelegenheit ist.
Der Dialog zwischen einem selbstkritischen Theologen und einem selbstkritischen Religionswissenschaftler ist also durchaus sinnvoll. Nach zahlreichen Dialogen mit gläubigen Vertretern der betreffenden Religionen scheint es mir jedenfalls höchst fruchtbar, mit hochrangigen Vertretern der Islamkunde, der Indologie und der Buddhologie (mit Judentum und chinesischer Religion beschäftigte ich mich später) einen öffentlichen Dialog zu wagen. Freilich ist mir bewusst, dass nicht jeder Fachvertreter zu einem solchen Dialog fähig und bereit ist. Da sind nun einmal mehr als nur Spezialkenntnisse erforderlich.
Unvergleichliche Chance des Lernens
Um dieses Experiment nicht falsch einzufädeln und gar scheitern zu lassen, führe ich zuerst ein vertrauliches »Erkundungsgespräch« mit einem unserer angesehensten Religionswissenschaftler, dem Ägyptologen HELMUT BRUNNER und seiner Frau EMMA BRUNNER - TRAUT , ebenfalls Ägyptologin, die beide in Tübingen leben. Im Februar 1980, inmitten meiner großen Konfrontation mit Rom, hatten beide Brunners eine kleine Gruppe aus der Katholisch-Theologischen
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