Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
die Rede sein.
    Auf diese Weise hatte ich nun die großen Religionen zum ersten Mal gründlich behandelt: sowohl die nahöstlichen Ursprungs, die prophetischen Religionen Judentum (vgl. Kap. VI), Christentum und Islam (vgl. Kap. V), wie die mystischen Religionen indischen Ursprungs, Hinduismus und Buddhismus, und nun schließlich die Weisheitsreligionen Chinas, Konfuzianismus und Daoismus. Ihre Unterschiede drängten sich mir geradezu auf, aber auf einige Konvergenzen konnte ich doch schon damals hinweisen.
    Für viele beängstigend ist das kaum überschaubare Miteinander, Durcheinander und Gegeneinander der verschiedenen Religionen, Konfessionen und Gruppierungen. Und über alle wichtigen Personen, Lehren und Riten, all die vielen Entwicklungen und Umbrüche ist unendlich viel geschrieben worden. Hier sich ein Orientierungswissen zu erwerben ist nicht einfach, und ihm galt mein ganzes Bemühen. Ich wollte mir so etwas wie eine geistige Landkarte verschaffen, die aber nicht einfach unterschiedlich eingefärbte Territorien wiederzugeben versucht, sondern auch die religiösen Stromsysteme, die ihre eigene Genesis und Morphologie und doch auch gleichzeitig einen internationalen und transkulturellen Charakter haben. Jede der großen Religionen muss als sich lebendig entwickelnde Wirklichkeit verstanden werden, die verschiedene Grundkonstellationen oder Paradigmen durchgemacht hat mit ganz bestimmten Konstanten und Variablen.
    Mir scheint es indes wichtig, bei aller uneingeschränkten Offenheit gegenüber anderen Religionen die Verwurzelung im eigenen Glauben nicht aufzugeben.
    Zur Dialogbereitschaft gehört Standfestigkeit
    Nie wäre ich auf die Idee gekommen, meinen jüdischen oder muslimischen Gesprächspartnern zuzumuten, dass sie um des Dialogs willen ihre grundlegende Orientierung an der Tora oder am Koran aufgeben müssten. Und umgekehrt würde wohl auch niemand von mir als Christen verlangen wollen, dass ich meine grundlegende Orientierung an Jesus Christus aufgebe.
    Das aber erwartet die mir theologisch und kirchenpolitisch nahestehende Gruppe, die eine »pluralistische Religionsphilosophie oder Religionstheologie« vertritt. Ihr Inspirator ist der Brite JOHN HICK , unterstützt in den USA von dem katholischen Theologen PAUL KNITTER . Nie werde ich vergessen, dass schon im August 1971, als sich die römischen Wolken über meinem Haupt zusammenzogen, gerade Paul Knitter und LEONARD SWIDLER mit dem evangelischen Theologen BERND JASPERT eine ökumenische Solidaritätserklärung mit schließlich 325 Unterschriften vor allem von Theologieprofessoren organisierten, die von der Glaubenskongregation ein faires Verfahren und vor allem eine uneingeschränkte Akteneinsicht für mich als Angeklagten verlangten. Und sicher hat John Hick, der stets liebenswürdige, aber auch unnachgiebige Gesprächspartner, recht, wenn er mir versichert, wir wollten doch beide dasselbe und stünden einander sehr nahe.
    In der Tat, ich hatte John Hicks Buch über Tod und Ewiges Leben (»Death and Eternal Life«, London 1976) mit Begeisterung gelesen und vielen der von ihm festgestellten Konvergenzen zugestimmt. Und Paul Knitter habe ich Gelegenheit zu einem Gastvortrag über seine Theologie an der Universität Tübingen geboten und anschließend zu einem öffentlichen Dialog mit meinen Kollegen EBERHARD JÜNGEL und JÜRGEN MOLTMANN . Alles meine Freunde, aber an einem zentralen Punkt sehe ich mich doch mehr auf der Seite meiner beiden evangelischen Kollegen: im Glauben an Jesus Christus, den ich sicher nicht als »ab-solut« , als »los-gelöst« von den anderen Religionen betrachte, wohl aber als relational, in Verbindung mit ihnen.
    Meine Auffassung ist: Von Teilnehmern am Religionsdialog zu verlangen, zunächst einmal die eigene Glaubensüberzeugung aufzugeben und von der Normativität der eigenen Tradition abzusehen, um von der prinzipiellen Gleich-Gültigkeit der verschiedenen Heilswege und der verschiedenen »Christusse« – Mose, Jesus, Muhammad, Buddha, Krishna und Konfuzius – auszugehen, erscheint mir unhistorisch und unrealistisch.
    Unhistorisch : Man vernachlässigt in einer solchen Sicht die historischen Abhängigkeiten, etwa von Jesus und Moses, oder von Muhammad und Jesus. Und man nimmt nicht ernst, dass die verschiedenen Leitfiguren innerhalb ihrer Religion einen völlig unterschiedlichen Stellenwert einnehmen: Grundverschieden ist die Stellung Mose im Judentum, Jesu im Christentum und Muhammads im Islam, aber auch die

Weitere Kostenlose Bücher