Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Gehässigkeit gegenüber Jesus von Nazaret abzubauen. Doch dabei ist wichtig:
Zu unterscheiden sind der Glaube Jesu und der Glaube an Jesus . Oft zitiert man von christlicher Seite das Wort des großen jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber von Jesus als seinem »großen Bruder«. Und ausführlich hat sich SCHALOM BEN-CHORIN , mit dem ich in Tübingen ein langes Gespräch führen konnte, mit der Gestalt Jesu auseinandergesetzt und mit Berufung auf Buber festgestellt: »Jesus ist für mich der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder. Ich spüre seine brüderliche Hand, die mich fasst, damit ich ihm nachfolge … Sein Glaube, sein bedingungsloser Glaube, das schlechthinnige Vertrauen auf Gott, den Vater, die Bereitschaft sich ganz unter den Willen Gottes zu demütigen, das ist die Haltung, die uns in Jesus vorgelebt wird und die uns – Juden und Christen – verbinden kann.« 2
Ein beeindruckendes Zitat eines bedeutenden jüdischen Publizisten. Aber nachgerade peinlich, und ärgerlich für Ben-Chorin, ist der Tatbestand, dass die bereits erwähnte Erklärung der deutschen Bischöfe von 1980 zwar diese Sätze zitiert, aber seine nachfolgenden entscheidenden Sätze glatt unterschlägt, sodass der Sinn des Zitats entstellt erscheint. Die weggelassenen Sätze, die das zentrale Problem überhaupt erst deutlich machen, lauten: »Es ist nicht die Hand des Messias, diese mit den Wundmalen gezeichnete Hand. Es ist bestimmt keine göttliche , sondern eine menschliche Hand, in deren Linien das tiefste Leid eingegraben ist. Der Glaube Jesu einigt uns, aber der Glaube an Jesus trennt uns.« 3
Wenn uns aber sogar nach den dialogfreundlichsten jüdischen Theologen weniger der Glaube Jesu selber, sondern der Glaube an Jesus trennt, dann wird sofort deutlich, wie problematisch es ist, im christlich- jüdischen Dialog einfach vom Glauben an Jesus Christus auszugehen und eine Christologie von oben zu entwickeln. Die Bischöfe benennen denn auch in der schon zitierten Erklärung den entscheidenden Punkt, wenn sie sagen: »Der christliche Glaube an Jesus Christus, dem gemäß der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus nicht nur als der verheißene Messias, sondern darüber hinaus als der wesensgleiche Sohn Gottes bejaht und verkündigt wird, erscheint vielen Juden als etwas radikal Unjüdisches; sie empfinden ihn als etwas dem strengen Monotheismus, wie er besonders im ›Schema Israel‹ für den frommen Juden täglich zur Sprache kommt, absolut Widersprechendes, wenn nicht gar als Blasphemie« (S. 21). Doch sucht man bei denselben Bischöfen eine Antwort auf diese zentrale Schwierigkeit vergebens. Kein Wort, außer der resignierenden Empfehlung: »Dafür« (dass solcher Glaube an Jesus Christus den Juden als unjüdisch, widersprüchlich, blasphemisch vorkommt) »muss der Christ Verständnis haben, auch wenn er selbst in der Lehre von der Gottessohnschaft Jesu keinen Widerspruch zum Monotheismus sieht« (S. 21 f.). Ist das alles?
Dies darf, meine ich, nicht das letzte Wort sein. Wenn das Gespräch über Jesus »von oben« offensichtlich schwierig, auf diese Weise vielleicht gar unmöglich ist, dann ist ein anderer Ansatz vonnöten. Dies würde bedeuten, dass wir auch als Christen versuchen müssten, Jesus aus der Perspektive der jüdischen Zeitgenossen Jesu zu betrachten. Auch wir sollten wieder wie die Jünger damals – gleichsam voraussetzungslos – die Frage stellen: Wer ist dieser? Denn auch die jüdischen Jünger Jesu hatten zunächst einmal von dem jüdischen Menschen Jesus von Nazaret auszugehen und nicht bereits von einem offenkundigen Messias oder gar »wesensgleichen« Gottessohn, einer Vorstellung, welche hellenistische philosophische Kategorien voraussetzt! Nur so haben die Jünger damals überhaupt die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu Gott stellen können. Und dieses Verhältnis besteht für sie auch später nicht in einer simplen Identifikation mit Gott, als ob Jesus Gott schlechthin, der Vater, wäre.
Woraus folgt: Der Jude könnte dem Christen vielleicht sogar helfen, jene zentralen neutestamentlichen Aussagen über Jesus und insbesondere Ehrentitel wie Gottessohn, besser zu verstehen, die einen eminent hebräischen Hintergrund haben. Dies ist jedenfalls meine aufgrund vieler Studien und Gespräche gewachsene Überzeugung: Wenn wir vom jüdischen Menschen Jesus ausgehen, dann werden wir mit einem unvoreingenommenen Juden ein nicht geringes Stück Weg gemeinsam
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