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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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können, warum zum Beispiel beim Besuch eines israelischen Staatspräsidenten in einem deutschen KZ ein Psalm gebetet wird, bei dem der christliche Amtsträger die (nicht in der Bibel stehende) trinitarische Schlussformel (»Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist …«) unbedingt hinzufügen muss. Falsches Bekennertum oder schlicht Ignoranz und Dummheit? Wie ein Psalm ließe sich vielleicht beim gemeinsamen Gebet von Christen und Juden auch das »Vater unser« beten, da seine wesentlichen Bestandteile auf die Hebräische Bibel zurückgehen.
    Mit wem in die Ferien gehen?
    Natürlich treffe ich bei all diesen Begegnungen nicht nur mit Rabbinern und Wissenschaftlern zusammen, sondern auch mit vielen jüdischen Bürgern und Bürgerinnen. Gerne denke ich an die Gastfreundschaft von RALPH und TONY WYMAN in der Villenvorstadt Greenwich/Connecticut bei New York zurück. Sie habe ich kennengelernt durch den schon genannten bedeutenden Alttestamentler Professor DAVID NOEL FREEDMAN , Herausgeber des vielbändigen Kommentars zu den einzelnen Büchern der Hebräischen Bibel »The Anchor Bible«, der hauptverantwortlich ist für meine Einladung an die University of Michigan, und seine Mitarbeiterin ASTRID BECK , meine Sekretärin in Ann Arbor; beide bleiben mir freundschaftlich verbunden und besuchen mich regelmäßig in der Schweiz.
    Gedenken aber will ich auch zweier lieber Freunde aus Phoenix/Arizona: JOHN UND LORRAINE FRANK . John ist Chef einer angesehenen Anwaltskanzlei und das Muster eines sozial engagierten jüdischen Juristen, der sich einsetzt für die Minderheiten und die Schwachen in der Gesellschaft. Am 2. Oktober 1984 besucht er mich in Tübingen und beschenkt mich nachher mit einem Exemplar der neuen 32-bändigen »Encyclopaedia Britannica«. Während drei Tagen bin ich Gast bei den beiden am Fuß des Camelback Mountain, des Wahrzeichens von Phoenix. Ihr schönes Haus ist nicht von einem mühsam bewässerten Rasen umgeben, sondern ganz der Gegend angemessen von Sand und Kakteen. Wir tauschen immer wieder Briefe aus …
    Solche Bekanntschaften erinnern mich an ein Abendessen mit einem Rabbiner und einem sehr römisch wirkenden Monsignore anlässlich von Vorträgen in Portland/Oregon. Mit wem würdest du lieber in die Ferien gehen, stelle ich mir im Stillen als Testfrage – mit dem Rabbiner oder mit dem Monsignore? Keine Frage: mit dem Rabbiner. Dieses Phänomen werde ich später im Rahmen meiner Paradigmentheorie leichter erklären können: Besser als Menschen der gleichen Religion, die aber in verschiedenen Paradigmen leben, verstehen sich Menschen verschiedener Religion, die im selben (modern/nach-modernen) Paradigma leben und so die Welt mit ähnlich justierten Augen und Sinnen wahrnehmen!
    So etwas wie »Ferien mit Rabbiner« erlebe ich 1991, als ich mich für Vorträge vom 10. bis 17. März in Kalifornien aufhalte. Eine Einladung für jüdisches Publikum aus Hollywood nehme ich sofort an. Ich freue mich, in dieses Land mit Sonne, Palmen und azurblauem Meer zurückzukehren, und vor so vielen jüdischen Gemeinden reden zu dürfen, empfinde ich als ein Privileg.
    Alles sollte beginnen mit einem Vortrag in der Synagoge Valley Beth Shalom bei Los Angeles über »Das Verhältnis von Juden und Christen«. Ich bereite alles gut vor und bin am 9. März rechtzeitig am Flughafen Stuttgart. Doch die böse Überraschung: »Ihr Pass ist abgelaufen, wir können Sie nicht reisen lassen«, so die Dame am Check-in. Zu meinem noch anwesenden Fahrer Hans Aichele sage ich: »Zurück nach Tübingen, wo ich einen zweiten Pass habe« (wegen sich oft überschneidender Visumsgesuche). Nach einer Viertelstunde Rückfahrt suche ich meine Aktentasche: Doch sie ist offenkundig am Check-in liegen geblieben! Also rasch umgedreht und zurück zum Flughafen, wo ich die Aktentasche am selben Ort finde. Jetzt wieder mit Tempo nach Tübingen. Ich renne die Treppen hinauf und suche, suche, aber finde meinen zweiten Pass nicht. Deshalb wieder runter zum Auto: »Zum Flug in Stuttgart reicht es nicht mehr, wir fahren direkt nach Zürich zum Anschlussflug, so rasch wie möglich!« Ich versuche im Übrigen ruhig zu bleiben, aber der Gedanke quält mich, dass ich unter Umständen eine vielhundertköpfige Menge von Zuhörerinnen und Zuhörern auf ihren Referenten warten lasse, und der kommt nicht. Ich telefoniere nach Zürich, am Swissair-Schalter ist man orientiert, man verweist mich an die Fremdenpolizei gleich nebenan: Dort ist man

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