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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Informationen werden von Militärs und Abenteurern, Kaufleuten und Geschäftemachern benutzt. Und denen ist kein Mittel schäbig genug – von Täuschung und erpressten »Schutzverträgen« über Schnaps, Glasperlen und Waffen bis zu rohester Gewalt und hemmungslosen Massakern –, um Afrika unter die Herrschaft irgendeines europäischen »Imperiums« zu bringen.
    Doch klage ich keine Einzelpersonen an: Jedermann in Europa – mit wenigen Ausnahmen – denkt damals imperialistisch und will beim fieberhaften Wettlauf um »Schutzgebiete« (Protektorate) und »Kolonien« dabei sein. Entweder »erwirbt« oder »kauft« man sie sich schlicht vertraglich. Oder man erzwingt, erkämpft und besetzt sie. Als publizistisch wirksame Motive für die kolonialistische Unterwerfung und Ausbeutung propagiert man: Erforschung des geheimnisvollen Kontinents, Unterdrückung des Sklavenhandels, Verhinderung der (durch die ausgeweiteten Sklavenjagden geförderten) Stammeskriege, Zivilisierung der »Wilden«. Und dies heißt damals nicht nur für die Kirchen: Christianisierung und Europäisierung der »Heiden«!
    Gewiss: Humanität mag bei Einzelnen eine Rolle gespielt haben, und erst seit dieser Zeit haben wir Europäer von Afrika geographisch, geologisch, klimatisch, ökonomisch und ethnographisch nähere Kenntnisse, die der wirtschaftlichen Erschließung und Entwicklung zugutekamen. Aber leider: Hinter all der Neugier steht doch die Goldgier, stehen – man braucht nicht Marxist zu sein, um diese marxsche Erkenntnis hier verifiziert zu finden – nackte Wirtschaftsinteressen der ersten Industriestaaten England, Frankreich und schließlich auch Kaiser-Deutschlands. Diese brauchen mitten in der industriellen Revolution nicht mehr in erster Linie Menschen auf amerikanischen Plantagen, sie brauchen Rohstoffe in den eigenen Fabriken sowie Plantagen- und Minenarbeiter in Afrika selbst. Am Rande vermerkt: Die ersten kolonisatorisch aktiven katholischen Mächte, Spanien und Portugal, verharren, reich und satt geworden, im mittelalterlichen gegenreformatorisch-antimodernen Paradigma und verpassen so den Anschluss an die Moderne, was erneut auf die vielfältige Mitverantwortung der Kirche verweist.
    Die Ambivalenz der neuzeitlichen Mission
    Mir kommt eine Fahrt mit unserer Filmcrew durch den Busch in Simbabwe bei Fort Victoria in den Sinn: plötzlich ein verwitterter Wegweiser: »Gokomere«. Ich überlege nur kurz: In meiner Jugendzeit erhielt doch meine Mutter Briefe aus Salisbury, Fort Victoria und schließlich Gokomere – von ihrem Bruder, der dort die Missionsstation der Schweizer Missionsgesellschaft Bethlehem gegründet und geleitet hatte. Sofort lasse ich das Auto wenden, und wir schwenken nach »Gokomere« ab. Da kommen uns schon bald Scharen adrett blau gekleideter Jungen und Mädchen entgegen, die uns mit frohen Gesichtern begrüßen … Welch eine Fügung!
    Und welch eine Entdeckung: Die Saat meines Onkels P.  ALOIS GUT , in unserer Familie häufig zu Gast, war aufgegangen. Ich treffe denn auch in den weitläufigen Baulichkeiten noch zwei Schweizer Missionare aus seiner Zeit, die ihren Lebensabend offensichtlich lieber hier verbringen als in ihrer Schweizer Zentrale Immensee und sich nicht wenig freuen, einen bekannten Landsmann leibhaftig vor sich zu sehen. Der lange Zeit als Kandidat für den neuen Bischofssitz in der Hauptstadt Salisbury (heute Harare) gehandelte Onkel Alois aber war nach Einsetzung eines anderen Schweizers in die Heimat zurückgekehrt. Zunehmend verbittert und pessimistisch im Blick auf Kirche und Welt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, hatte er verschiedentlich versucht, seine Schwester gegen ihren Sohn, mich also, einzunehmen, bis ich allen Briefkontakt mit ihm abbrach. Aber seine Missionsarbeit habe ich in einem Filmstatement in der Provinzhauptstadt Bulawayo in breiterem Kontext gewürdigt, in deren Nähe der zweifelhafte Begründer von Rhodesien, CECIL RHODES , Sohn eines amerikanischen Geistlichen, begraben liegt, auf dem spektakulären Aussichtspunkt »View of the World«.
    Kein Zweifel: wie mein Onkel, so haben zahllose Missionare sich subjektiv ehrlich und äußerst hingebungsvoll nicht nur um die Glaubensverkündigung, sondern um den konkreten afrikanischen Menschen mit Seele und Leib gekümmert und sich mit dem Aufbau des Schul-, Bildungs-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens bleibende Verdienste erworben. Aber ob sie es wollten oder nicht: Sie, die selber entweder vom katholischen Mittelalter oder

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