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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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von der protestantischen Reformation (bzw. Erweckungsbewegung) geprägt waren, hatten im 19. Jahrhundert den modernen Industriestaaten den Weg zur vollständigen Unterwerfung Afrikas geebnet: nicht zuletzt durch ihre Landpolitik und Landabgaben, ihre eigenen großen Plantagen und Betriebe, Missionshandelsgesellschaften und gar Missionsschiffe. Und wenngleich einzelne Missionare auch immer wieder mutig gegen die brutale Unterdrückung durch die vorrückenden Kolonialmächte protestierten, ordneten sich doch alle Initiativen der Missionen auf ökonomischem, politischem und vor allem geistig-kulturellem Gebiet der Zielsetzung der Kolonialmächte unter.
    Blicke ich auf die Geschichte dieses Kontinents in der europäischen Neuzeit zurück, kann ich jenen Kollegen aus Kongo sehr wohl verstehen, der mir einmal – nach einem miserablen Vortrag eines jungen weißen Religionswissenschaftlers über grausame afrikanische Stammessitten – erklärte: »Es gibt keinen Kontinent auf diesem Globus, der so gedemütigt und ausgebeutet worden ist wie Afrika: durch Sklaverei, Kolonialismus und durch Apartheid.« Doch entwickeln sich schon früh Gegenkräfte, Bewegungen, die sich gerade in Südafrika ausgebreitet haben und in denen sich ein neues afrikanisches Selbst- und Sendungsbewusstsein ausdrückt.
    Die unabhängigen afrikanischen Kirchen
    1880 hatten die Europäer noch kaum ein Zehntel Afrikas in Besitz, aber schon 20 Jahre später war ganz Afrika (mit Ausnahme von Äthiopien, Liberia und, bis 1912, Marokko) ihr Eigentum. Natürlich geschah dies alles gegen den erbitterten Widerstand der Schwarzen : Diese hatten schon im 19. Jahrhundert – wiederum besonders in Südafrika und in Deutsch-Südwestafrika – begonnen, auch eine neue afrikanische Art von Christentum zu etablieren. Hier – nicht in Lateinamerika – finden sich die ersten Anfänge christlicher Befreiungspraxis und Befreiungstheologie . Auch marxistisch orientierte Afrikahistoriker erkennen an, dass schon die alten religiösen Überlieferungen einen wichtigen Wertfaktor darstellen für die Selbstbewahrung des afrikanischen Menschen unter kolonialen Bedingungen. Diese teils politischen, teils unpolitischen religiösen Bewegungen bilden den Ausgangspunkt sowohl des antikolonialen Widerstandes wie eigenständiger christlicher Kirchen: mit Kirchenführern vom Häuptlingstyp, Prophetentyp oder vereinzelt auch Messiastyp auf den Farmen, in den Städten oder in den Reservaten, oft mit Frauen als örtlichen Führern.
    Das heißt: Angesichts der mit dem kolonialen Machtapparat verflochtenen europäischen Missionskirchen und ihres Unverständnisses für afrikanische Eigenart, Psychologie, Sprache, Kultur, Bräuche und Eigenverantwortung entschließen sich viele schwarze Christen, oft ausgebeutete Bauern, aus religiösen Gründen zum Protest. Unter der Führung von Häuptlingen, Geistlichen, Lehrern oder Arbeitern beginnen sie sich selbstständig zu machen. In Absetzung zu den ausländischen Missionen, die ihnen einen falschen Gott, einen Gott der Unterdrückung und Ausbeutung, zu verkünden schienen, werden unabhängige afrikanische Kirchen nicht nur gefordert, sondern auch gegründet: »African Independent Churches« , in denen die Afrikaner sie selber sein können und in denen sie ihre eigenen Propheten haben.
    Von den Weißen zwar von Anfang an als »Sekten« verunglimpft, hatten sie – nach Vorläufern schon im 19. Jahrhundert – vor allem seit dem 20. Jahrhundert einen ungeheuren Zuspruch. In der Zwischenkriegszeit zählen sie bereits nach Hunderten und ihre Anhänger nach Millionen. In Südafrika allein gibt es zur Zeit meiner Vortragsreise 4000   –   5000 Bewegungen, zu denen 30   –   40 Prozent der schwarzen Bevölkerung gehört haben dürften. Von Nigeria bis Südafrika beobachte ich am Wochenende größere oder kleinere Gruppen meist weiß gekleideter Gläubiger, die zum Gottesdienst am Meer, an einer Straßenkreuzung oder in einem Versammlungsort eilen. Ich habe selber verschiedentlich, etwa in der schwarzen Elendsstadt Soweto bei Johannesburg, an einem charismatischen Gottesdienst teilgenommen, an einem weiteren bei einer großen Straßenkreuzung vor Harare, immer höchst freundlich begrüßt. In diesen Versammlungen fühlen sich die Schwarzen offenkundig besser zu Hause als in den steifen, normierten Gottesdiensten der Missionskirchen. Hier können sie ihre eigenen melodiösen und rhythmischen Lieder singen, können beim Gesang ihren Körper bewegen

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