Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
rede ich immer deutlicher. Und in einer meiner drei Reden vor großem Publikum am 3., 4. und 5. Februar 1986 an der Universität in Kapstadt , das halbjährlich mit Pretoria als Hauptstadt alterniert, fordere ich erneut, was auch viele Weiße sehnlichst wünschen: ein wahrhaft freies, demokratisches, nichtrassistisches Südafrika. Und dies verlange die schlichte Abschaffung der Apartheid, und zwar jetzt, allerdings auf friedlichem Weg. Ich sei viel zu optimistisch, meint jedoch anschließend der deutsche Botschafter: Eine Abschaffung der Apartheid ginge hier keinesfalls ohne ein Blutbad vonstatten; zur Not würden die Weißen gegen die Schwarzen sogar die Atombombe einsetzen, deren Besitz sie verheimlichen.
Ich bleibe bei meiner Auffassung. Sie stützt sich vor allem auf zwei Faktoren. Ein Erstes: Es wird Druck von außen erfolgen, Wirtschaftssanktionen – und effizienter als Handelssanktionen (die durch Geheimkanäle umgangen werden können) sind Finanzsanktionen der Banken –, wie sie vom Südafrikanischen Kirchenrat und auch von der großen Mehrheit der opferbereiten schwarzen Bevölkerung gewünscht werden. Nur der Kursverlust der südafrikanischen Währung Rand um 70 Prozent in zehn Jahren brachte die Regierung in entscheidende Bedrängnis.
Ich schreibe deshalb von Johannesburg aus aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen einen eindringlichen längeren Brief an den Präsidenten der schweizerischen Nationalbank, Dr. FRITZ LEUTWILER , mir vom Weltwirtschaftsforum her bekannt, der für das internationale Bankenkonsortium in London mit der südafrikanischen Regierung verhandelte. Ich bitte ihn nachdrücklich, den Druck zu verschärfen, falls nicht eine entscheidende Änderung der Politik eintrete. Seine Antwort ist zustimmend. Ob er sich bei den Finanzverhandlungen tatsächlich für die Menschenrechte in Südafrika eingesetzt hat, ist mir nicht bekannt.
Ein Zweites ist nicht weniger wichtig: Es gibt in Südafrika ein Netzwerk von Führern christlicher Kirchen , das Schwarze und Weiße, Katholiken und Protestanten, Laien und Amtsträger vereinigt und das diesen friedlichen Übergang begleitet und verantwortet. Ich habe die führenden Exponenten kennengelernt:
Zuerst den anglikanischen Erzbischof von Kapstadt, DESMOND TUTU , Friedensnobelpreisträger 1984, einen charismatischen religiösen Führer und aufrüttelnden Redner; ich treffe ihn in Kapstadt beim Mittagessen, um die Lage offen zu besprechen. 23 Jahre nach meinem Besuch, 2009, hält er auf Einladung der Stiftung Weltethos die 8. Weltethos-Rede an der Universität Tübingen.
Dann den Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates, Dr. C. F. BEYERS NAUDÉ , der, von manchen Buren als Renegat angesehen, bei Weißen wie bei Schwarzen hohes Ansehen genießt. Ich besuche ihn in seinem Haus, wo ihn die Regierung unter Hausarrest gestellt hatte. Auch er formt meine Auffassung mit. Ich darf ihm 1988 an der Universität Tübingen den Herbert-Haag-Preis für »Freiheit in der Kirche« verleihen.
Schließlich DENIS HURLEY , römisch-katholischer Erzbischof von Durban, den ich vom Konzil her als aufgeschlossenen Mann kenne und mit dem ich jetzt den Kontakt erneuere.
Der beste Kardinal, den Afrika nie hatte
DENIS HURLEY hatte wie ich – aber mehr als ein Jahrzehnt vor mir – sieben Jahre in Rom an der Gregoriana studiert und war durch die kirchliche Soziallehre verändert in seine südafrikanische Heimat zurückgekommen. 1915 geboren, war er mit 31 Jahren der jüngste Bischof der Weltkirche geworden, und als er sich 1991 zurückzog, war er länger im Amt gewesen als jeder andere Bischof.
Schon 1951 hatte Hurley als Vorsitzender der Südafrikanischen Katholischen Bischofskonferenz eine Serie von Hirtenbriefen veröffentlicht, in welchen er die Apartheid als »Blasphemie« und »Übel schlechthin« angeprangert hatte. Er setzt sich aktiv für die Abschaffung der Apartheid ein und nimmt – zum Missfallen vieler Weißer – mit dem anglikanischen Erzbischof von Kapstadt an Demonstrationsmärschen teil. So ist er in ständiger Konfrontation mit der Regierung und trifft sich 1983 in London im Geheimen sogar mit dem Präsidenten des African National Congress (ANC) OLIVER TAMBO . Ich lerne Denis Hurley in den 1960er-Jahren auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil kennen. Wir sind auf derselben Wellenlänge, und dies auch bezüglich der Reform der Kirche. Er hält engen Kontakt mit den führenden Theologen, und als ein Mann von gewaltiger Energie und
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