Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
NELSON MANDELA (seit 27 Jahren im Gefängnis), Ende der weißen Vorherrschaft. 1994 Wahl Mandelas zum Staatspräsidenten und auf Vorschlag und unter der Leitung Erzbischof Desmond Tutus statt eines »Kriegsverbrecherprozesses« wie in Nürnberg eine »Wahrheits- und Versöhnungskommission«, wo jeder freikommt, der ein ehrliches vollständiges Geständnis ablegt. Auf diese Weise geschieht eine gründliche Aufdeckung der zahllosen Verbrechen zwischen 1960 und 1993, aufgrund der Aussagen von 21.000 Personen und 2000 Vernehmungen. Ein guter Beginn, aber die Zukunft des Landes ist damit noch nicht gesichert.
Ein Versagen auch des Marxismus: Mosambik
Immer wieder habe ich erfahren, wie tief in vielen Schwarzafrikanern das Trauma von der christlich-europäischen Kolonialisierung und Missionierung durch eine Moderne sitzt, die mit der Abschaffung des Apartheid-Systems zu Ende ging. Auch die afrikanischen Eliten hatte in den 1980er-Jahren Enttäuschung über viele moderne westliche Wertvorstellungen und Erfolgsversprechungen erfasst. Enttäuschung über das Erlahmen der europäischen religiösen Impulse, aber auch über das Versagen des realen Marxismus. Mit seinem programmatischen Atheismus und seiner praktischen Menschenverachtung stand dieser ohnehin in klarem Gegensatz zum Islam. Aber darüber hinaus hat er marxistisch orientierte Staaten wie Äthiopien, Angola und Mosambik in eine katastrophale Wirtschaftslage hineingeführt, sodass sich diese schließlich doch wieder dem Westen zuwenden mussten.
Ich mache diese Erfahrung auf meiner Afrikareise 1986 besonders in Mosambik , dem Land im Südosten Afrikas am Indischen Ozean, das heute 20 Millionen Einwohner zählt. Die Menschen in der Hauptstadt Maputo, einer Millionenstadt, wissen noch um jene Zeiten, als ihr mittelalterlich geprägtes afrikanisches Land zum ersten Mal mit den kommenden Kolonialherren konfrontiert worden war. Portugal ist im 15. Jahrhundert die fortgeschrittenste europäische Seemacht. Es ist der Portugiese Vasco da Gama, der am Ende des Jahrhunderts über Mosambik und Mombasa/Malindi (im heutigen Kenia) mithilfe eines muslimischen Lotsen aus dem indischen Gujarat den Seeweg nach Indien findet. Die Portugiesen dringen in ihrer Gier nach Gold entlang des Sambesi immer mehr ins Landesinnere vor, konzentrieren sich aber im Übrigen vor allem auf den Sklavenhandel. Die Verbindung mit Angola im Westen zu einem geschlossenen Kolonialreich aber scheitert am Widerstand der Briten. Mosambik ist auch nach den beiden Weltkriegen unter der reichlich ausbeuterischen portugiesischen Herrschaft verblieben.
Seit 1964 aber kämpft die Freiheitsbewegung FRELIMO mit Waffengewalt gegen die Kolonialmacht. Erfolg hat sie jedoch erst, als 1974 im Mutterland Portugal die »Nelkenrevolution« das diktatoriale katholische Salazar-Regime gestürzt hatte. Am 25. Juni 1975 kann die Unabhängigkeit Mosambiks erklärt werden. Der neue Staat pflegt von Anfang an sehr enge Beziehungen mit den Ostblockstaaten, die die Freiheitskämpfer in Mosambik bisher unterstützt hatten und jetzt Hunderte von Militärberatern senden. Präsident SAMORA MACHEL regiert mit harter Hand, bis er 1986 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kommt und ihm der gemäßigtere JOAQUIM CHISSANO nachfolgt.
Doch was muss ich ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeitserklärung im Lande feststellen? Ein weithin heruntergewirtschaftetes Land! Ich werde sehr freundlich aufgenommen im Haus des deutschen Botschafters Dr. WILFRIED NÖLLE und von den Repräsentanten der christlichen Kirchen, vor allem vom anglikanischen Bischof DINIS SENGULANE . Nur von den katholischen (teils noch portugiesischen) Autoritäten lässt keine sich blicken, außer drei italienischen Pfarrern, die ich zufällig treffe und die sich hocherfreut mit mir fotografieren lassen. Die Hierarchie und der »niedere Klerus« denken und leben oft auf sehr verschiedenen Ebenen. Gut betreut werde ich von Rev. FILIPE BANZE , Generalsekretär des Christenrats von Mosambik.
Auf Mosambiks ungeteerten Straßen sieht man wenige Autos; viele Menschen sind noch zu Fuß unterwegs. Auf der Fahrt zum ökumenischen Seminar von Ricatla, weit außerhalb von Maputo, fallen uns zwei farbenprächtig in Rot und Gelb gekleidete junge Mütter mit ihren Babys auf dem Arm auf. Marianne Saur will sie unbedingt fotografieren, merkt aber nicht, dass wir vom nahen Polizeiposten aus beobachtet und sofort gestellt werden. Es folgt eine recht langwierige
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