Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
anerkannter Integrität setzt er sich konsequent in Rom wie in seiner Heimat für die Verwirklichung von Reformen ein.
So freut er sich denn sehr über meinen Besuch in Durban, und es ist für ihn selbstverständlich, dass ich mit Marianne Saur bei ihm in der Residenz wohnen darf. Er teilt meine Sorgen über die wachsende antikonziliare Einstellung der Kurie, die ja auch politisch bezüglich Südafrika reaktionär eingestellt ist. Noch während der letzten Amtszeit von Erzbischof Hurley als Präsident der Bischofskonferenz wiederholt der Apostolische Delegat die Worte JOHANNES PAULS II. , die vor ihm auch der letzte Premierminister des Apartheid-Systems, P. W. BOTHA, zitiert hatte: »Es ist nicht an den Hirten der Kirche, direkt in die politische Konstruktion und Organisation des gesellschaftlichen Lebens einzugreifen.« Darauf antwortete Hurley klipp und klar: »Wir können uns nicht von unserer Verpflichtung dispensieren, Gerechtigkeit und Liebe zu predigen, und dies nicht nur für individuelle Begegnungen, sondern auch für die Begegnungen zwischen den großen menschlichen Gemeinschaften.«
Hurley ist einer der bedeutendsten prophetischen Kirchenführer im 20. Jahrhundert, zugleich ein sehr bescheidener Mann. Kardinal wird er trotzdem oder gerade deshalb nicht. Denn er war schon gegen die Pillenenzyklika und für einen verheirateten Klerus gewesen und schließlich auch für die Ordination der Frau. Gegen Ende seines Lebens, am 15. Dezember 2002, nimmt er in der anglikanischen Kirche von Durban an der Ordination zweier Frauen teil. Dort wird er gepriesen als »The best Cardinal Africa never had – der beste Kardinal, den Afrika niemals hatte«. So berichtet PADDY KEARNEY in ihrer Biographie »Guardian of the Light. Denis Hurley: Renewing the Church, Opposing Apartheid« (New York 2009).
Wenn ich so diesen einen afrikanischen Bischof besonders lobe, will ich aber die anderen hervorragenden Bischöfe Afrikas nicht verschweigen, die ich besonders während des Konzils kennenlerne: den Generalsekretär der englischsprachigen Bischofskonferenz und den Generalsekretär der französischsprachigen Bischofskonferenz und viele ihrer Kollegen. Später kann ich auf meiner Afrikareise ein verständnisvolles Gespräch mit Kardinal JOSEPH-ALBERT MALULA von Kinshasa/Kongo führen. Und mit dem ersten afrikanischen Kurienkardinal, dem Nigerianer FRANCIS ARINZE, hatte ich verschiedentlich freundliche Begegnungen, zuletzt noch auf der »Weltkonferenz der Religionen für den Frieden« in Amman 1999. Dort aber enttäuscht er nicht nur mich, weil er die schein-ökumenische Konzeption des Vatikans völlig unkritisch vorträgt. Er wird lange als erster afrikanischer Papst gehandelt, wäre aber zweifellos eine große Enttäuschung geworden.
1985/86 hatte es bei Unruhen in Südafrika circa 1800 Tote und zahllose oft völlig willkürliche Verhaftungen gegeben. In der Township Sharpeville, südlich von Johannesburg, wo am 21. März 1960 das größte Massaker mit 69 erschossenen friedlich protestierenden Schwarzen verübt worden war, erhalte ich von Zeitzeugen einen realistischen Bericht: Die Folgen sind damals ein Verbot des African National Congress (ANC), Unruhen im ganzen Land, internationale Proteste und Ausschluss Südafrikas aus dem Commonwealth. Bis heute wird in Südafrika des 21. März als »Tag der Menschenrechte« gedacht.
Ich gestehe, dass auch in mir etwas später höchst mulmige Gefühle hochkommen, als ich mit einem Schwarzen im Auto an einem Sonntagvormittag in Soweto von einer katholischen Kirche, wo ich die Eucharistie gefeiert hatte, auf dem Weg bin zum Gottesdienst in einer kleinen unabhängigen afrikanischen Kirche: Eine wenig freundliche Polizeipatrouille mit einem vergitterten Gefangenenauto stoppt uns. Ich besitze nicht den geforderten Sonderausweis, sondern nur meinen Schweizer Pass, behaupte aber wiederholt, was ich gehört hatte: Ein katholischer Priester könne sich für den Gottesdienst in Soweto frei bewegen. Ich bin mir bewusst, dass ich bei einer Verhaftung zunächst kaum auffindbar gewesen wäre, und bin froh, dass ich die Polizisten schließlich überreden kann, mich weiterfahren zu lassen. Und noch mehr erleichtert ist unser schwarzer Fahrer, dem die Knie zittern.
Doch schon drei Jahre nach meiner Reise wird nach dem reaktionären P. W. Botha ein neuer Staatspräsident, F. W. DE KLERK , gewählt. Dieser leitet 1989 die Wende der Innenpolitik ein: neue Verfassung, Freilassung des ANC-Führers
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