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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Autor ist der hochkompetente, damals bereits 84-jährige Kirchenhistoriker EDUARD WINTER , der selber leidvolle Erfahrungen mit der römischen Machtkirche durchstehen musste. Er hatte mir dieses Buch – gleichsam sein geistiges Testament – zugeschickt. In einem großen Bogen behandelt er darin die Schicksale offen oder verdeckt »ketzerischer« Denker vom 12. bis zum 20.   Jahrhundert, die der Wahrheit mehr gehorchten als der kirchlichen und weltlichen Macht und dafür zu leiden hatten: von Joachim von Fiore über Nikolaus von Kues, Kopernikus, Kepler, Pascal und Leibniz bis zu Anton Günther, Franz Brentano und Herman Schell. Für mich zumeist bekannte Gestalten, aber hier speziell gesehen in ihrem Widerspruch zu herrschenden Lehren und Auffassungen.
    Ein bewegendes Buch, das mich ermutigen sollte, mich aber oft niederdrückte. Konnte ich doch den Gedanken nicht verscheuchen: Wirst du vielleicht auch noch als »Ketzer« – ursprünglich eine ehrende Selbstbezeichnung der südfranzösischen »Katharer« (griech.: »die Reinen«) – in die Geschichte eingehen? Zuallermeist wollten ja die in diesem Buch behandelten »eigenständigen Denker nicht als Häretiker gelten, zum einen, weil sie sich nicht als Gegner der Kirche fühlten, sondern eine bessere Kirche erstrebten, zum anderen, weil sie wussten, was die Abstempelung als Ketzer für sie zur Folge hatte – Diffamierung, ja physische Vernichtung«, so Eduard Winter in seiner Einleitung. Aber, frage ich mich, stimmt denn das von ihm seinem Buch vorangestellte Wort wirklich: »Das Allerstärkste auf Erden ist eben doch der Gedanke . Ihm die Bahn zu verschließen, gelingt auf die Dauer keiner Gewalt und keiner List!«?
    Das Wort stammt von dem an der Schwelle zum 20. Jahrhundert berühmtesten katholischen Theologen Deutschlands, dem Würzburger Dogmatikprofessor HERMAN SCHELL (1850   –   1906) . Er hatte die in vielen Auflagen erschienenen Schriften »Der Katholicismus als Princip des Fortschritts« (1897) und »Die neue Zeit und der alte Glaube« (1898) geschrieben. Programmschriften des deutschen Reformkatholizismus, die schon unmittelbar vor Weihnachten desselben Jahres, am 15. Dezember 1898, von Rom auf den »Index der verbotenen Bücher« gesetzt werden! Und Schell? Er unterwirft sich, um seinen Lehrstuhl zu behalten, bleibt aber vehementen Angriffen römisch gesinnter »Antimodernisten« ausgesetzt. Die Korrespondenz mit seinem Lehrer und Freund, dem Philosophen FRANZ BRENTANO, der wegen des Unfehlbarkeitsdogmas (1870) am Karfreitag 1873 in einer Unterredung mit dem Würzburger Bischof auf geistliches Amt, Professur und Kirchenmitgliedschaft verzichtet hatte, spricht Bände. Und zwar über das schon damals fatale Dilemma vieler Katholiken, zwischen römisch-katholischem Glauben und dem Ethos der Moderne, zwischen Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit, zwischen kirchlichem Gehorsam und geprüftem Gewissen. Unter dem fanatischen Antimodernistenpapst PIUS X. (bei dessen höchst anfechtbarer Heiligsprechung durch den zusehends ebenfalls antimodernen Pius XII. 1954 in Rom bin ich als Student zugegen) verstärkt sich auch auf Schell der Druck noch einmal massiv. Schon am 6. Dezember 1905 muss er sich zum zweiten Mal vor dem Bischof kategorisch auf den »integralen« Katholizismus, wie ihn Pius X. verstand, verpflichten; seine Erklärung wird zurechtgestutzt und prompt im bischöflichen Amtsblatt veröffentlicht. Schell ist jetzt ein gebrochener Mann. All die persönlichen Anfeindungen und offiziellen Diffamierungen haben seinem Herzen zugesetzt. Am 13. Mai 1906 wird er 56-jährig von seinem Leid durch den Tod erlöst … Das Schicksal eines Reformtheologen, das mich erschüttert. Häretiker sein in dieser Kirche kann lebensgefährlich sein.
    Aber, so darf ich mir nun auch sagen: Glücklicherweise leben wir nicht mehr in der Zeit des Bündnisses von Thron und Altar, von Herrscherhaus und Kirche, sondern in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, und ich habe in meinen theologischen Positionen nicht nur Bibel und große katholische Tradition, sondern auch das Vatikanum II (1962   –   65) hinter mir – den Kontrapunkt zum Unfehlbarkeitskonzil Vatikanum I (1869   –   70). So bleibt denn meine Grundstimmung auch nach der Lektüre all der »Ketzerschicksale« frohgemut. Das letzte Photo meines zweiten Memoirenbandes »Umstrittene Wahrheit« zeigt mich auf Kreta entspannt lächelnd mit dem eben erhaltenen Dokumentationsband »Der Fall

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