Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Wanderasketen, gefunden und in seine Lehre eingewiesen haben soll. Sie bilden den Kern der Gemeinde von Mönchen und Nonnen, des Sangha , der bald Tausende zählen wird, unterstützt von einer Gemeinschaft frommer Laien. Hier also hat er das »Rad der Lehre« in Bewegung gesetzt.
Mich beschäftigt besonders, wie viele Ähnlichkeiten es doch gibt zwischen den beiden Gründergestalten, zwischen Gautama und Jesus von Nazaret. Schon im äußeren Verhalten : beide Wanderprediger in der Volkssprache, mit allgemein verständlichen Spruchweisheiten, Kurzgeschichten, Gleichnissen, ohne Formeln, Dogmen, Mysterien. Beide durch kein Amt legitimiert, in Opposition zur religiösen Tradition und zur Kaste der Priester und Schriftgelehrten, die für die Leiden des Volkes keine Sensibilität zeigen. Für beide bedeuten Gier, Hass und Verblendung die große Versuchung.
Eine grundlegende Ähnlichkeit aber findet sich nicht nur im äußeren Verhalten, sondern auch in der Verkündigung von Gautama und Jesus: Sie vermitteln eine frohe, befreiende Botschaft (der »dharma«; das »Evangelium«), die von den Menschen ein Umdenken (»in den Strom steigen«; »Metanoia«) und Vertrauen (»shraddha«; »Glaube«) fordern. Jedenfalls keine Orthodoxie, sondern Orthopraxie. Keine Welterklärung, philosophische Spekulation und gelehrte Gesetzeskasuistik. Vielmehr – angesichts der Vorläufigkeit und Vergänglichkeit der Welt – ein praktischer Weg aus der Ichsucht, Weltverfallenheit und Blindheit. Es geht um Befreiung durch inneren Wandel, für die keine besonderen Voraussetzungen intellektueller, moralischer oder weltanschaulicher Art verlangt werden. Wohl aber eine neue selbstlose Zuwendung zu den Mitmenschen, die selbstverständlich die allgemeinen Sittengebote (nicht töten, lügen, stehlen, Sexualität missbrauchen) beachtet, aber sie übersteigt durch die Grundforderungen der Güte und Mitfreude, des liebenden Mitleids (Buddha) und der mitleidenden Liebe (Jesus).
Wie einen Überblick gewinnen?
Viele Christen sind sich darüber nicht im Klaren: Der Buddhismus ist ein mächtiges und weit verzweigtes 2500-jähriges Gebilde. Schon lange vor diesen Filmaufnahmen stellte ich mir die Frage: Wie soll ich in dieser Geschichte und einer Religion, die sich von Indien aus einerseits bis nach Malaysia und Indonesien, andererseits nach Zentralasien, Tibet, China, Korea und Japan ausgedehnt hat, einen Überblick gewinnen? Wie Chronologie und Geographie, diachronische und synchronische Betrachtung verbinden? Selbst Kenner des Buddhismus haben oft Schwierigkeiten, vor lauter Verschiedenheit die Einheit zu sehen. Mir steht als Instrumentarium die Paradigmenanalyse zur Verfügung, die für viele Kollegen neu und deren Anwendung auf den Buddhismus nicht einfach ist.
Meiner chinesischen Kollegin und Freundin JULIA CHING und ihrem Mann WILL OXTOBY , damals beide als Religionswissenschaftler an der University of Toronto tätig, war es gelungen, aufgrund ihrer guten Beziehungen zur University of Hawaii dort Professor DAVID CHAPPELL , einen begeisterten Buddhologen und Organisator der »East-West Religions Encounter Conference«, für die Organisation einer groß angelegten Konferenz an der University of Hawaii in Honolulu zu gewinnen, um hier die Paradigmentheorie in Anwendung auf den Buddhismus zur Diskussion zu stellen.
Für die letzte Dezemberwoche 1981 hatte ich freilich auch eine andere Einladung erhalten: zur New Era Conference auf der Hawaii-Insel Maui . Deren Thema sollte schlicht »Gott« sein: »God: The Contemporary Discussion«. Da waren aufgrund mancher hochkarätiger Teilnehmer sehr interessante Beiträge zu erwarten. Und welcher Gelehrte reist nicht gerne gratis nach Hawaii! Aber die Sache hat für mich einen Haken: Die Organisation, die sich hinter der New Era Conference verbirgt, ist die Vereinigungskirche (Unification Church) des koreanischen Religionsgründers Sun Myung Moon. Aufgrund einer Vision hatte er diese neue »Kirche« 1954 in Seoul gegründet und mit seiner reichen Frau ein gewaltiges Wirtschaftsimperium damit verbunden. Meine Kollegen an der University of Chicago Divinity School, an der ich den Herbst 1981 verbringe, raten mir dringend ab, diese verlockende Einladung der »Moonies« anzunehmen. Was dem durchschnittlichen Religionswissenschaftler kaum schade, würde mich nicht nur vor der akademischen Öffentlichkeit, sondern auch in meiner Kirche diskreditieren.
So buche ich denn in einem anderen Hotel auf Maui auf eigene
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