Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
beider Religionen sehr genau herausarbeiten. So kann ich feststellen, dass es auch im Buddhismus so etwas wie ein Mittelalter mit entsprechender Frömmigkeit gegeben hat oder wie weit auch im Buddhismus die Modernisierung vorangeschritten ist. Eine dritte grundsätzliche Frage: Was hilft mir dies im Vergleich zum Christentum ? Aufgrund einer genauen Paradigmenanalyse werde ich nicht ungeschichtlich einen mittelalterlichen Buddhismus mit einem modernen Christentum vergleichen oder umgekehrt. Zugleich aber habe ich die Möglichkeit, auch jede neue Form des Buddhismus wie des Christentums an ihrem Ursprung zu messen: also an Gautama, dem Buddha, oder an Jesus, dem Christus.
Das Entscheidende, was mir in all den Erfahrungen und Reflexionen dieser Jahre aufgegangen ist: Vieles ist im Buddhismus wie im Christentum offensichtlich veränderlich, vieles sind Variable . Und doch lassen sich bei genauerem Hinsehen immer einige Züge und Elemente finden, die grundlegende Konstanten der verschiedenen Formen von Buddhismus ausmachen. Es sind, bildlich gesprochen, immer dieselben Gestirne (»stellae«), an denen wir uns orientieren, aber sie gehen immer wieder neue epochale »Kon-stell-ationen« ein.
Epochale Umbrüche im Buddhismus
Eine Episode mag das verdeutlichen: Auf unserer Filmreise gerate ich gerade in Bodh Gaya in eine recht unangenehme Diskussion mit unserem liebenswürdigen Redakteur UWE BORK vom Südwestrundfunk. Er hatte viele gute Ideen zu unserer Spurensuche beigesteuert, will jetzt aber aus Kosten- und Zeitgründen eine weitere Filmsequenz im nahen Patna drehen. In Patna statt, wie in unserem Drehbuch vorgesehen, im zentralindischen Sanchi (nahe beim heutigen Bhopal). Nach meiner Kenntnis aber sind in Patna keine Spuren des Buddha oder des Buddhismus zu finden. Ich kann ihm schließlich vermitteln, dass es hier nicht um meine persönliche fixe Idee geht, sondern um Wesentliches: Die herrlichen reliefgeschmückten Tore in Sanchi stellen nun einmal samt allem anderen die bedeutendsten Denkmäler der frühen buddhistischen Kunst dar: im Zentrum der Stupa (Sanskrit: ursprünglich Grabhügel), Aufbewahrungsort für Buddha-Reliquien – Modelle für die buddhistische Baukunst in ganz Asien, heute von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.
Und für mich noch wichtiger: Sanchi bildet das erstrangige Zeichen für den Paradigmenwechsel von der buddhistischen Urgemeinde zu einem Buddhismus als Staats- und Kultreligion (Paradigma II). Begründet wird sie von KAISER ASHOKA (268 – 233 v. Chr.), der, Buddhist geworden, für den Buddhismus eine ähnliche historische Rolle spielt, wie sie Kaiser Konstantin für das Christentum einnimmt. Nach dem Rückzug der Truppen Alexanders des Großen hatte Ashoka nach einem blutigen Krieg das erste indische Großreich begründet, das fast den ganzen Subkontinent umfasst. Bis heute gilt Ashoka als Idealbild eines buddhistischen Herrschers, der einen Wohlfahrtsstaat begründet hatte und überall im Reich auf Ediktsäulen, mit Tierfiguren gekrönt und mit dem Rad der Lehre geschmückt, Grundsätze der buddhistischen Ethik verkünden ließ.
Dieser Paradigmenwechsel bedeutete freilich zugleich den Übergang von der Elitereligion der Urgemeinde zur Massenreligion der buddhistischen Staaten unter dem Patronat eines buddhistischen Herrschers. Eine im Gegensatz zu Buddha höchst ritualisierte Religion entsteht. In zahllosen Pagoden und Tempeln entwickelt sich ein Kult mit Riten und Zeremonien, mit Reliquienverehrung und Wunderglauben. Der Buddha selber hätte dies alles als eine der »Zehn Fesseln« ohne Wert für die Erlösung bezeichnet. Ashoka vermachte den Klöstern große Schenkungen, mit der Steuerfreiheit Grundlage ihres auf Dauer gefährlich wachsenden Reichtums – eine ähnliche Entwicklung wie in Europas Klöstern.
Auf längere Sicht führte gerade dies zur wachsenden Entfremdung der Klöster vom Volk. Und es waren zunächst die innere Erstarrung und Dekadenz der Klöster und schließlich die muslimische Eroberung, die seit dem 15. Jahrhundert zum fast völligen Absterben des Buddhismus in Indien führten. Nur noch in Sri Lanka, nun Hauptzentrum der Überlieferung (mit seinem »Pali-Kanon«), sowie in Birma und Thailand kann ich diesen Buddhismus des Theravada (»Lehre der Alten«) als lebendige Wirklichkeit erfahren.
»Mittelalterlicher« Buddhismus
Je besser ich die Theravada-Länder kennenlerne und auch immer mehr gelehrte Spezialuntersuchungen lese – über Sri
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