Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Charakteristikum der indischen Verfassung beziehen, deren Artikel 51a unter den »Grundpflichten« von jedem Bürger verlangt »to promote harmony and the spirit of common brotherhood amongst all the people of India transcending religious, linguistic and regional or sectional diversities, to renounce practices derogatory to the dignity of women«.
Gelobt wird die Weltethos-Erklärung, weil sie die globale Gemeinschaft – Erde, Menschheit, Nationen – in den Vordergrund stellt und sich nicht auf die bisher übliche selektive Akzentuierung von Teilaspekten beschränkt. Weil sie auf dem gemeinsamen Erbe der Religionen gründet und sie nicht gegeneinander ausspielt, ist die Erklärung »ein bedeutender Meilenstein unseres sich entwickelnden globalen Bewusstseins und des erweiterten Sinns unserer universalen gegenseitigen Abhängigkeit«. 2
Aus indischer Perspektive wird nun freilich die Bedeutung der »Spiritualität« hervorgehoben, ohne welche die Erfüllung ethischer Pflichten schwierig sicherzustellen sei: »Es ist die Spiritualität, die Dynamik des Glaubens, die durch die Zeitalter hindurch Individuen und Gruppen bestärkt und angespornt hat, ethischen Maßstäben gerecht zu werden. Teilnehmer erinnerten daran, dass die Völker des Ostens wesentlich religiöse Menschen sind. In Indien haben eine Anzahl von Reformern die Lehren unserer Religionen durch Anwendung mit neuem Sinn erfüllt und haben so einer enormen Masse von Menschen bewusstgemacht, was sie anderen verdanken. Sie haben sie dazu inspiriert, anderen und der Gemeinschaft zu dienen.« 3
Ein Wunsch der Konferenz ist leider nicht in Erfüllung gegangen: dass sich in Indien eine Gruppe oder Organisation gegründet hätte, die sich um die Implementierung der Weltethos-Erklärung in ähnlicher Weise bemühen würde, wie dies die Menschenrechts- oder Umweltorganisationen für ihre Anliegen tun.
Auf den Spuren des Buddha
Ganz selten in der religiösen Geschichte der Menschheit gibt es Momente, wo eine geistesmächtige Gestalt in den Strom einer Religion steigt und ihn in eine neue Richtung lenkt – durch Wort, Tat und Geschick. Zu diesen wenigen Gestalten gehört der Buddha, von dem der katholische Theologe ROMANO GUARDINI mit größtem Respekt schreibt: »Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft. Vielleicht wird Buddha der letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinanderzusetzen hat.« 4 Ein hellsichtiges Wort Guardinis, der sich selber freilich mehr mit den großen Dichtern von Dante bis Rilke befasste als mit den großen Religionen.
Wie ungezählte andere hatte natürlich auch ich schon früh »meinen« »Siddharta« gelesen und war tief bewegt von HERMANN HESSES einfühlsamer fiktiver Schilderung von Siddhartas Weg und dessen spirituellem Durchbruch zum »Buddha«, dem »Erwachten«. Aber während Hesse selber nie in Indien gewesen war, kam ich schon relativ früh in Berührung mit jener Region, in der sich das alles abgespielt haben musste, und mit jenen Ländern, in denen der Buddhismus bis heute lebt.
Ich erinnere mich gut, wie ich schon auf meiner ersten sehr kurzen Weltreise im November 1964 (Bd 1, Kap. IX.: Eine Reise um die Welt) in einem etwas klapprigen Flugzeug der Royal Nepal Airlines aus dem indischen Patna am Ganges (früher Hauptstadt sowohl des Maurya- wie des Guptareiches) über die nordindische Tiefebene gegen das im Sonnenlicht liegende weiße Himalajagebirge nach Kathmandu hinauffliege; da ich der einzige Ausländer bin, darf ich die gewaltige Szenerie sogar vom Cockpit aus betrachten. Dies also ist das ursprüngliche Buddha-Land, von dem die ganze buddhistische Bewegung ihren Ausgang genommen hat! Der Buddhismus hat ja im Norden Indiens begonnen. Aber wegen der Dekadenz der Klöster einerseits und der muslimischen Eroberung andererseits ist er dort praktisch untergegangen. Eine neue Heimat findet er unter anderem in Thailand , wo ich damals einen Halt einlegen kann, um in Bangkok zumindest die großen Tempel- und Klosteranlagen (Wats) am Menamfluss zu bewundern, ohne aber schon damals mit den buddhistischen Mönchen in ihren leuchtenden safrangelben Gewändern Kontakt aufnehmen zu können.
Auf meiner zweiten Reise um die Welt aber habe ich im August 1971, auf dem Weg von Indien nach Indonesien, in Sri Lanka diese ältere, stark mönchisch bestimmte Form des Buddhismus genauer kennengelernt. In
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