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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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seine nationale Unabhängigkeit stark eingeschränkt, seine kulturelle Identität gefährdet. Der Vatikan, der 1933 Hitler mit einem Konkordat diplomatisch hoffähig gemacht und mit den faschistischen Regimen in Italien, Spanien, Portugal und Vichy-Frankreich kollaboriert hatte, stand während des japanischen Aggressionskriegs gegen China (1931   –   45) »neutral« auf der Seite des militaristischen Japan und erkannte eilig den japanischen Marionettenstaat »Mandschukuo« (faktisch die chinesische Mandschurei) an. Leicht verständlich, dass in dieser Zeit des europäisch-amerikanisch-japanischen Imperialismus in China ein antireligiös-säkularistisches und anti-christliches Denken weit verbreitet ist.
    Natürlich ist mir daran gelegen, auch China, seine Religion und seine Menschen nicht nur aus Büchern kennenzulernen. Noch mehr als auf den »Nahen Osten« bin ich auf den »Fernen Osten« neugierig. Aber während ich Erfahrungen mit dem lebendigen Judentum und dem lebendigen Islam nach dem Zweiten Weltkrieg schon in den 1950er- und 1960er-Jahren machen kann, gestaltet sich dies für mich aufgrund der dramatischen politischen Entwicklung in China ungleich schwieriger. Auch in der Schweiz hatten wir den unaufhaltsamen Aufstieg der Kommunistischen Partei Chinas (schon 1924   –   34; dann 1947   –   49) zunächst bestenfalls am Rande wahrgenommen. Diese neue chinesische revolutionäre Bewegung hatte zugleich eine nationale Dimension (gegen die Japaner) und eine soziale (zur Mobilisierung der Bauern). Aufgrund der ganzen Vorgeschichte ist sie radikal gegen das Christentum als eine »imperialistische Fremdreligion« und besonders gegen den Vatikan eingestellt. Dabei hatte Papst PIUS XII. nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 endlich eine selbstständige chinesische Kirchenhierarchie errichtet – freilich um Jahrhunderte zu spät (wie zweideutig ist doch das Diktum der Kurie »pensiamo in secoli – wir denken in Jahrhunderten«!). Drei Jahre später wird statt des Christentums der Marxismus-Leninismus zur Religion, besser Pseudo-Religion der fast einen Milliarde Chinesen: Proklamation der Chinesischen Volksrepublik nach sowjetischem Muster am 21. September 1949 durch MAO ZEDONG .
    In diesem Jahr 1949 bin ich bereits ein Jahr für meine philosophisch-theologischen Studien in Rom. Für die kommunistenfeindlichen chinesischen Kirchen, besonders die vermögende römisch-katholische, erweist sich die kommunistische Revolution als Katastrophe. Sie erinnert an die große Revolution in Frankreich und an die bolschewistische Revolution in Russland: Ausweisung aller ausländischen Missionare und Schwestern aus China, Verbot der kirchlichen Presse, Konfiszierung sämtlicher katholischer Universitäten und Schulen, Krankenhäuser und karitativen Anstalten sowie allen Kirchenguts.
    Aber während ich in Rom (wie in Bd. I berichtet) den sowjetischen Marxismus-Leninismus unter kundiger Leitung kritisch-selbstkritisch genau studieren kann, begegnen mir in Bezug auf die Entwicklung des chinesischen Marxismus-Leninismus (Maoismus) nur Ignoranz, Unverständnis und Anklage. Pius XII. weiß auf diese verhängnisvollen Entwicklungen nur mit den traditionellen römischen Methoden der Verurteilung und Verbote zu antworten: Verurteilung der (in vieler Hinsicht berechtigten) chinesischen Forderung nach den »drei Selbst« : der Selbstunterhaltung, Selbstverwaltung und Selbstverbreitung der Religionen. Weiter ein (völlig illusorisches) Verbot jeglicher Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Regime. Verbot auch der Lektüre kommunistischer Zeitungen, Zeitschriften und Bücher und des Beitritts zu chinesischen Gewerkschaften. Schließlich die diplomatische Anerkennung Taiwans, für Peking eine »abtrünnige chinesische Provinz«, als »wahres China«.
    Wieder einmal setzt der Vatikan, der sich stets einer universalen Weltsicht rühmt, politisch auf die falsche Karte. Es sollte bis in unsere Tage hinein dauern, bis man die epochale Bedeutung der Chinesischen Revolution trotz all ihrer Exzesse erkennt: Zum ersten Mal in der Neuzeit ist China vom Einfluss fremder Mächte befreit und hat in voller Selbstständigkeit (schließlich auch gegenüber der »brüderlichen« Sowjetunion) seine nationale Würde wiedergefunden – freilich unter Millionen von Opfern und vielfacher Zerstörung der Familienbande (in »Volkskommunen«) und im Kampf nicht nur gegen die »fremden« christlichen Kirchen, sondern auch gegen die traditionellen Lehren seines

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