Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
(Dreiecksgespräch Harnack – Barth – Bultmann), exegetisch (AT–NT) und schließlich theologisch-systematisch (in Auseinandersetzung mit der Gegenwartstheologie) – im Druck umfasst die Arbeit rund 830 Seiten.
1989 reicht Dr. Kuschel diese Schrift bei der Fakultät ein; mit mir als hinzugezogenem Gutachter werden der Alttestamentler WALTER GROSS und der Dogmatiker PETER HÜNERMANN als Gutachter der Fakultät gewählt. Ihr Ergebnis: Während der Exeget entschieden für die Annahme der Arbeit eintritt, argumentiert der Dogmatiker mit allen Mitteln für eine Ablehnung. Ich mache mir die Mühe und suche meinen Kollegen Peter Hünermann, der in einem Dorf ein gutes Stück außerhalb Tübingens wohnt, eigens auf. Zu unserer Studienzeit im Germanicum hatten wir uns gemeinsam in einem Zirkel für eine kritisch-konstruktive Theologie eingesetzt – jetzt aber weist er alle meine Argumente ab. Für mich ist klar, auch Dr. Kuschels akademische Karriere soll gestoppt werden. Dieser Eindruck wird später noch bestätigt durch die Intrige, die derselbe Kollege inszeniert, um die Aufnahme Kuschels in den neu zu gründenden Rotary Club Reutlingen-Tübingen Süd zu hintertreiben. Nach meiner Intervention allerdings vergebens.
Eine langwierige Diskussion im Habilitationsausschuss der Fakultät ist indessen unvermeidbar. Aber – zur Ehre der Fakultät sei es gesagt – diese endet mit einer eindeutigen Niederlage Hünermanns (zwei Stimmen contra Kuschel, aber 14 pro). 1990 wird Kuschel zum Privatdozenten ernannt. Doch dreimal bewirbt er sich vergebens für eine Professur in Dogmatik: In Graz steht er auf Platz 1, aber es wird ihm der drittplazierte Priester vorgezogen. In Wien kommt er schon gar nicht auf die Liste, in Münster immerhin auf Platz 2. Deswegen kann er in Tübingen schon nach vier Jahren (1994) zum außerplanmäßigen Professor ernannt werden. Damit ist auch für ihn eines meiner Ziele für meine bravourösen »drei Musketiere« erreicht: Auch er besitzt damit den nun einmal wichtigen Professorentitel.
Aber ein Lehrstuhl für Karl-Josef Kuschel stößt weiterhin auf den unüberwindlichen Widerstand Roms. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ERWIN TEUFEL , ein aufrechter, vom Konzil geprägter Katholik, gewährt Karl-Josef Kuschel und mir das außerordentliche Privileg eines Gesprächs zusammen mit dem Wissenschaftsminister. Ich bräuchte ihm meinen Schüler nicht zu empfehlen, er habe seine Veröffentlichungen selber gelesen und sei höchst positiv beeindruckt, sagt Erwin Teufel schon zur Eröffnung des Gesprächs. Er gibt Karl-Josef Kuschel im Namen der Landesregierung das Versprechen, dass er nach meiner Emeritierung einen C3-Lehrstuhl erhalten wird. Aber auch dafür ist leider die Zustimmung Roms notwendig. Ich setze mich telephonisch mit Bischof WALTER KASPER in Verbindung und bitte ihn um seine Hilfe. Aber seine Antwort tönt schmallippig und wenig interessiert: »Das wird schwierig …«. Nach der wissenschaftlichen Qualifikation fragt er nicht einmal. Auch er macht die römische Sippenhaft mit.
Angesichts dieser politischen Situation richtet der Ministerpräsident für Professor Kuschel die Stelle eines Akademischen Direktors ein: Im Gegensatz zum »Akademischen Rat« ist der »Akademische Direktor« nicht weisungsgebunden; er kann seine Forschung und Lehre völlig nach seinen eigenen Plänen gestalten und hat insofern einen ähnlichen Status wie ich selber. Karl-Josef Kuschel macht daraus das Beste. Er kann durch brillante Vorlesungen für sich in den nächsten Jahren ein Optimum und Maximum erreichen: Er lehrt zwar keinen Prüfungsstoff und hat so keine Pflichthörer, gewinnt aber mehr Hörer als die allermeisten seiner Kollegen in ihren Pflichtvorlesungen. Es ist grotesk: Die Kirche schlägt in Kuschels Fall sogar das Angebot des Staates für einen Lehrstuhl aus, nur weil ein Küng-Schüler »untragbar« sei. Für mich folgt daraus eine dritte Erkenntnis: Ein junger hochbegabter und intensiv arbeitender Professor kann selbst ohne Lehrstuhl einen ausgezeichneten Lehrerfolg haben und ein beachtliches Œuvre schaffen. Ein Grund, erinnere ich mich, warum vor der Nazizeit relativ viele deutsche Juden den Nobelpreis erhielten, war: Sie waren durch die Ordinarien von den Lehrstühlen ferngehalten worden und konnten so unbelastet auf einem Spezialgebiet außerordentliche Leistungen erbringen.
Für seine Leistungen auf den Grenzgebieten Theologie – Literatur und interreligiöser Dialog
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