Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
mitgeteilt, der Lehrstuhl sei mit dem polnischen Priester Dr. JÓZEF NIEWIADOMSKI besetzt worden, der, wissenschaftlich erheblich schlechter ausgewiesen, an dritter Stelle stand.
Ähnliche Schikanen muss Professor Baumann in der Folgezeit auch an der Universität Fribourg/Schweiz erdulden. Von der Berufungskommission wird er auf den aussichtslosen vierten Platz gesetzt, wiewohl ihn der Fakultätsrat für die erste Stelle favorisiert. Schließlich wird ihm die Hünermann-Schülerin BARBARA HALLENSLEBEN vorgezogen. Auch von der Technischen Universität Dresden wird er 1993 zur Bewerbung aufgefordert. Aber vom Ministerium wird ein anderer Kollege ernannt.
Geradezu schamlos aber treibt es jene Theologische Fakultät, aus der der Luzerner Urs Baumann hervorgegangen war; diese Luzerner Fakultät hatte ja auch mich, obwohl ebenfalls Bürger des Kantons Luzern, in all den Jahrzehnten kein einziges Mal zu einer Lehrveranstaltung eingeladen und ist offensichtlich auch meinem Schüler Baumann nicht hold. Ja, sie schämt sich nicht, bei der Besetzung des Dogmatik-Lehrstuhls 1988 dem habilitierten Privatdozenten Dr. Urs Baumann in einer (an deutschen Universitäten verpönten) »Hausberufung« den erheblich weniger qualifizierten, nicht-habilitierten, aber bereits in der Fakultät einsitzenden Dr. KURT KOCH vorzuziehen. Als 1992 ein anderer Lehrstuhl, für Praktische Theologie, ausgeschrieben wird, bewirbt sich Baumann auch für diesen Lehrstuhl – mit Hinweis auf seine vielsemestrigen Lehrstuhl-Vertretungen in Religionspädagogik und Praktischer Theologie. Seine Stärke ist ja gerade die pastorale Erfahrung und Praxisbezogenheit seiner Theologie. Als man ihm in der Fakultät einen »guten Pfarrer« vorziehen will, schreibe ich nicht nur an den Bischof von Basel, OTTO WÜST , sondern (mit Kopien an die anderen Mitglieder der Kantonsregierung) auch an die zuständige kantonale Erziehungsministerin BRIGITTE MÜRNER-GILLI , die daraufhin von der Fakultät eine Stellungnahme anfordert. Aber berufen wird schließlich doch der Pfarrer Dr. HANS-JÖRG VOGEL , der aber schon 1994 zum Bischof von Basel gewählt wird, so dass der Lehrstuhl einmal mehr frei wird; der Bischofsstuhl freilich wird auch bald wieder frei, weil Vogel sich zu einem Kind und dessen Mutter bekennt und deshalb zurücktreten muss. Die Luzerner Fakultät aber übergeht den Luzerner Urs Baumann erneut und beruft lieber einen in der Theologenwelt unbekannten Deutschen.
Aller Protest gegen das Übergehen von Urs Baumann hat nichts genützt. Er bleibt in Tübingen, wird dort nach dem Abschied Hermann Härings Akademischer Rat und erhält, wie schon berichtet, 1993 den Professorentitel. Zum Bischof von Basel wird jetzt der strebsame statt Baumann berufene Professor Kurt Koch gewählt, der sich – und das macht die Provinzposse perfekt – in einem Brief an mich (6. 3. 1996) heftig beschwert gegen meine »Einmischung« in das Berufungsverfahren für Praktische Theologie. Noch mehr hat ihn vermutlich geärgert, dass ich die von einer Nuntiatur erhaltenen Kriterien für Bischofskandidaten veröffentlicht hatte, nach welchen jeder von der Bischofskandidatenliste gestrichen wird, der sich für Empfängnisverhütung durch die Pille oder gegen das Zölibatsgesetz oder für die Frauenordination ausspricht. Der sich bisher fortschrittlich gebärdende Kurt Koch – ein Wendehals par excellence, der es schließlich bis zum Kurienkardinal bringt – hatte rechtzeitig einen Artikel in der »Neuen Zürcher Zeitung« veröffentlicht, in dem er mit viel Rabulistik schließlich die Beibehaltung des Zölibatsgesetzes rechtfertigt. Mir aber drängt sich eine zweite Einsicht auf: Alle sachlichen Argumente können nicht nur an der römischen Mauer der Intoleranz, sondern auch an provinzieller Enge und lokaler Eifersüchtelei selbst in der Schweizerischen Eidgenossenschaft abprallen.
Meinen Dank schulde ich drittens Dr. KARL-JOSEF KUSCHEL: Er hatte nach seiner Dissertation über »Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« für seine Habilitation auf meinen Rat hin nicht, wie von anderer Seite empfohlen, eine relativ leichte Arbeit über Romano Guardini geschrieben. Vielmehr wählte er, um sich in Exegese und systematische Theologie gründlich einzuarbeiten, ein zentrales Thema christlicher Theologie: die Präexistenz Christi. Seine Habilitationsschrift »Geboren vor aller Zeit? Der Streit um Christi Ursprung« ist gründlich recherchiert und analysiert: historisch
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