Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
meines Denkwegs bis zum Ende der 90er-Jahre.
Eine erste Erkenntnis: Wer aufgrund der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in Deutschland als Theologe nicht wirken kann, kann auch an einer ausländischen Universität »selig« werden. Das erinnert mich daran, dass mir Dr. CHRISTOPH BLOCHER , der spätere konservative schweizerische Justizminister, ein Pastorensohn, angeboten hatte, für mich einen Lehrstuhl an der Universität Zürich zu erwirken, falls ich nicht in Tübingen bleiben könne.
Mein Dank gebührt zweitens Dr. URS BAUMANN: Er war schon 1969 in Tübingen mit einer kritischen Arbeit über die Erbsündenlehre promoviert worden und hatte dann einige Jahre als Laientheologe in seiner Schweizer Heimat in der praktischen Seelsorge gewirkt. Zurück in Tübingen, arbeitet mein Schüler an einer Habilitationsschrift über die dogmenkritische Frage »Die Ehe – ein Sakrament?«. Als er die gründlich recherchierte, umfangreiche Arbeit im Februar 1986 – also nach meiner großen Konfrontation mit Rom – bei der Fakultät einreicht, werde ich mit den beiden Vertretern des Faches Dogmatik zum Gutachter bestellt.
Im Herbst 1986 aber, zu Beginn des Wintersemesters, teilt mir der Dekan mit, der Kollege WALTER KASPER , der im Fall Härings sich als sehr hilfreich erwies, lehne Baumanns Arbeit rundweg ab und Kollege PETER HÜNERMANN wolle nicht das Zünglein an der Waage spielen. Kaspers Kritik galt weniger einzelnen Aussagen als der von ihm vermissten »katholischen Axiomatik«. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als der alte römisch-katholische »Integralismus«, der die ernsthafte Hinterfragung eines Dogmas nicht zulässt.
Ich versuche den für meinen Schüler schädlichen offenen Konflikt in der Fakultät zu vermeiden und schlage eine persönliche Unterredung mit Kasper und Hünermann im Dekanat der Katholisch-Theologischen Fakultät vor. Einige Missverständnisse lassen sich aufklären, andere Punkte für die Veröffentlichung korrigieren. Schließlich stimme ich um meines Kandidaten willen zu, dass Dr. Baumann seine Arbeit zurückzieht und sie im Licht der Gutachten der beiden Dogmatiker überarbeitet. Schon im Februar 1987 reicht Urs Baumann die korrigierte Arbeit erneut ein, und am Ende des Sommersemesters 1987 steht sein Habilitationsverfahren vor dem Abschluss. Doch bis zuletzt bleiben die Verhandlungen spannend. Denn Professor Kasper wehrt sich heftig gegen eine Lehrbefugnis (»Venia Legendi«) für das Fach Dogmatik; nur einer Habilitation für das Fach »Ökumenische Theologie« will er zustimmen. Die beiden Herren Dogmatiker wollen auf ihrem Feld Alleinherrscher sein und zugleich eine Berufung von Dr. Baumann auf einen Lehrstuhl für Dogmatik von vornherein blockieren. Immerhin wird Urs Baumann jetzt zum Dr. theol. habil. promoviert und kann den Antrag zur Ernennung zum Privatdozenten stellen. Doch dafür braucht er wie schon Hermann Häring das kirchliche »nihil obstat«.
Bischof GEORG MOSER aber legt Baumanns Antrag auf Eis – eine beliebte Methode kirchlicher Repression. Erst nach Mosers Tod erteilt ihm der zum Bistumsverweser eingesetzte Weihbischof Franz JOSEF KUHNLE mit dem Datum vom 31. Mai 1988 die Lehrerlaubnis. Am 29. Oktober 1989 – weit über zwei Jahre sind seit der Einreichung der Arbeit verflossen – kann Privatdozent Dr. Urs Baumann endlich in einem überfüllten Hörsaal seine öffentliche Antrittsvorlesung halten. Nach Lehrstuhlvertretungen und der Auszeichnung mit zwei Preisen wird er 1993 zum außerplanmäßigen Professor für Ökumenische Theologie ernannt – auch für mich persönlich eine große Genugtuung.
Doch wird in der Folge jegliche Berufung von Professor Baumann auf einen Lehrstuhl im deutschen Sprachraum durch kirchliche Manöver verhindert. In der Katholisch-Theologischen Fakultät von Linz (Österreich) steht Baumann 1989 an erster Stelle der Berufungsliste und verhandelt schon mit seinem künftigen Assistenten und über die Einrichtung der Bibliothek. Doch da verzögert sich das Verfahren: Rom weist die Liste zurück und lässt die Fakultät wissen, dass man allenfalls dem drittplatzierten Priester die Lehrerlaubnis erteilen würde. In der Folge werden die österreichischen Bischöfe angewiesen, Lehrstühle für Dogmatik nur noch mit Priestern zu besetzen. Und hinter den Kulissen hat auch Walter Kasper – jetzt Bischof von Rottenburg – vehement gegen Baumanns Berufung agitiert. Am 9. April 1993 wird Urs Baumann ohne Begründung aus Linz
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