Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Passagier in einem brandneuen Jet – über Chinas gebirgige Gegenden in die alte Hauptstadt Xi’an (früher Chang’an) und habe am selben Nachmittag ein Treffen mit Studenten der christlichen Religion. Am folgenden Tag erfüllt sich mir ein lang gehegter Wunsch: Ich besuche das prächtige Mausoleum von QIN SHIHUANGDI , des ersten Kaisers, der gewaltsam den Chinesischen Einheitsstaat begründete und China seinen Namen gab. Damit verbunden die weltberühmte Terrakotta-Armee aus Tausenden von lebensgroßen, in präziser Formation aufgestellten Soldaten, die mich besonders beeindruckt. Eingeladen von Prof. YOU XILIN , halte ich am Nachmittag an der Nordwest-Universität eine Vorlesung über »Weltethos vor weltpolitischem Horizont«. Beim abschließenden Empfang an der Shaanxi Teachers University finde ich mich wie überall sehr freundlich aufgenommen. Froh über diesen kurzen, aber intensiven Aufenthalt in China fliege ich am 25. Juli 1996 von Xi’an weiter über Schanghai nach Tokio, wo ich am Institute of Moralogy der Reitaku-Universität auf dem »First World Congress of Business, Economics and Ethics« aufzutreten habe.
Im Winter des Jahres 1996 besucht mich eine Delegation der Peking-Universität (»Beida«) in Tübingen: der Dekan für Philosophie Prof. YE LAN und andere Kollegen. Wir verständigen uns auf einen Plan, mehrere Weltethos-Veranstaltungen in China durchzuführen. Die Realisierung erweist sich aufgrund der Konkurrenz von Beida und Renmin-Universität zunächst als schwierig. Aber allen Schwierigkeiten zum Trotz kommt es im nächsten Jahr zur Ersten Konferenz über Weltethos und traditionelle chinesische Ethik, die grundlegend wird für die Bewusstwerdung des globalen Ethos auf dem chinesischen Festland.
Die Geburtsurkunde eines chinesischen Weltethos: Erste Konferenz über Weltethos und traditionelle chinesische Ethik (Peking 1997)
Vom 10. bis 12. September 1997 versammeln sich zu einem akademischen Symposion im über 1000 Jahre alten buddhistischen Dajue-Tempel in Peking 24 mit ethischen, religiösen (konfuzianisch, daoistisch, buddhistisch oder christlich), politischen, juristischen, ökonomischen, historischen und philosophischen oder humanistischen Studien befasste religiöse und akademische Persönlichkeiten aus Peking, Schanghai, Xi’an, Wuhan, Guangzhou, Zhen, Haikou und Hongkong 4 : Diese Erste Konferenz über Weltethos und traditionelle chinesische Ethik war initiiert worden von der Stiftung Weltethos/Schweiz und organisiert von der Renmin-Universität Peking und vom Institute of Sino-Christian Studies (ISCS) in Hongkong.
Bei der Eröffnung spricht Prof. YANG HUILIN (Renmin) über den Vorbereitungsprozess der Konferenz, Prof. HE GUANGHU (CASS) über Ursprung und Entwicklung des Weltethos, schließlich Prof. LIU XIAOFENG (ISCS) über die neueste Entwicklung des Weltethos in Verbindung mit der »Menschenpflichten-Erklärung« des InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs.
Diese Konferenz verabschiedet nach intensiver Diskussion jedes Wortes eine Erklärung, vorbereitet von einer vierköpfigen Redaktionsgruppe. Die Erklärung wird von allen Teilnehmern unterzeichnet und ist sozusagen die Geburtsurkunde für ein von der traditionellen chinesischen Ethik her begründetes und interpretiertes Weltethos. Sie ist 2013 noch so aktuell wie 16 Jahre zuvor. Abgedruckt ist sie in dem von Bundeskanzler a. D. HELMUT SCHMIDT herausgegebenen Bändchen »Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten. Ein Vorschlag« (München 1997). Daraus wird im Folgenden zitiert.
Die 24 chinesischen Gelehrten anerkennen, dass die Weltethos-Erklärung des Parlaments der Weltreligionen von Chicago 1993 »von immenser Bedeutung ist, weil sie – zu einer Zeit, in welcher die Welt dringend zur Neugestaltung der Weltordnung eine ethische Grundlage braucht – in all den schon bestehenden ethnischen Kulturen und religiösen Traditionen das für die individuelle menschliche Existenz notwendige, elementarste Ethos ausfindig macht, bekräftigt und es entsprechend den derzeitigen Existenzbedingungen noch einmal darlegt« (S. 102). Sie sei von »allergrößtem Wert«, weil sie »neben den religiösen auch nicht religiöse Kreise in die Diskussion einbezieht« (ebd.). Ebenso gewürdigt wird die vom InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs vorgeschlagene »Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten«, die den individuellen Rechten die individuellen Pflichten zur Seite
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