Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
erhält Karl-Josef Kuschel 1997 von der Theologischen Fakultät der schwedischen Universität Lund ein Ehrendoktorat, das ihn vor allen Lehrstuhlinhabern seiner Fakultät auszeichnet. Zum 60. Geburtstag 2008 geben zwei seiner Schüler eine eindrucksvolle Festschrift heraus unter dem Titel »Herzstücke. Texte, die das Leben ändern« mit Beiträgen von Freunden und Kollegen aus aller Welt und natürlich auch von mir. Im Band »Hans Küng – eine Nahaufnahme« ist die große Rede abgedruckt, die Karl-Josef Kuschel zu meinem 80. Geburtstag 2008 gehalten hat. Sein 2011 veröffentlichtes Buch »Leben ist Brückenschlagen. Vordenker des interreligiösen Dialogs« enthält auch ein umfangreiches Kapitel über meinen Denkweg, eine der besten Einführungen in meine über Jahrzehnte gewachsene Theologie der Religionen.
Durch all die Jahrzehnte hatte ich Karl-Josef Kuschel maximal gefördert. Mit der Gründung der Stiftung Weltethos 1995 wurde er deren Vizepräsident, und ich bestimmte ihn auch satzungsgemäß schon früh zu meinem Nachfolger als Präsidenten. Mit den Jahren stellte sich freilich mehr und mehr heraus, dass das Anforderungsprofil an die Rolle eines Stiftungspräsidenten komplex ist – zumal bei einer Stiftung wie der unseren, die ihre Handlungsfelder auch international mehr und mehr ausweitete. Karl-Josef Kuschels Engagement für die Stiftung hatte indes seine Grenzen. Und aufgrund seiner Neigung und Eignung wie seiner familiären Situation beschloss er schließlich, seinen eigenen Weg zu gehen. 2010 erklärte er zu meinem und unser aller großen Bedauern seinen Rücktritt vom Posten des Vizepräsidenten und aus dem Vorstand. Er wolle sich in Zukunft intensiver auf seine Familie, seine akademische Arbeit und seine Publikationen auf dem Grenzgebiet von Theologie und Literatur sowie auf dem Feld des interreligiösen Dialogs konzentrieren. Der Stiftung Weltethos bleibt er ständig als wissenschaftlicher Berater verbunden und wird 2012 ins Kuratorium berufen. Wie Hermann Häring hat auch er das Manuskript dieses Memoirenbandes sehr genau gelesen und viele wertvolle Verbesserungen vorgeschlagen.
Der Ungeist der Inquisition weht weiter – weltweit
Die Sippenhaft dauert, zumindest in erzkonservativen Kreisen, bis heute an. Alle meine Schüler – und es gibt ja neben den dreien trotz kirchlichen Boykotts noch einige mehr – stehen in der Dialektik von kirchlicher Anfeindung und Diskreditierung einerseits und wissenschaftlicher Anerkennung und öffentlicher Bewunderung andererseits. Und werden sie auch von manchen Autoritäten in der katholischen Kirche nicht geliebt, so werden sie doch aufgrund ihrer intellektuellen Schärfe und theologischen Kenntnisse geachtet. Im katholischen Kirchenvolk und Klerus aber fehlt es ihnen ohnehin nicht an Rückhalt. So bleiben denn meine drei Schüler, Kollegen und Freunde trotz der römischen Hierarchie in der katholischen Kirchengemeinschaft verwurzelt.
Wie viele loyale katholische Männer und Frauen mögen in dieser römisch-katholischen Kirche unter repressiven inquisitorischen Maßnahmen gelitten haben! Einige Fälle werden bekannt, mehr bleiben unbekannt. JOSEPH RATZINGERS Autobiographie bricht bezeichnenderweise ab mit seinem Eintritt in die Hierarchie und sagt über seine Jahrzehnte in der »Glaubenskongregation« kein einziges Wort. Wenn ich daran denke, was mir in rund 30 Jahren des Regimes Wojtyła-Ratzinger schriftlich mitgeteilt wurde oder mündlich zu Ohren kam, müsste ich ungezählte Seiten füllen: römische oder bischöfliche Mahnungen, Warnungen, Drohungen, Vorladungen, Versetzungen, Absetzungen, »Bußschweigen«, Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis, Entzug der Predigtbefugnis, Suspension vom priesterlichen Amt …
Der »National Catholic Reporter« (NCR), das hervorragende Organ der kritischen Katholiken der USA, veröffentlicht am 28. September 2007 einen »Special Report: Theology Censure«. Hier ist eine Liste der »Zielscheiben« ( targets ), um nicht zu sagen »Opfer«, von »28 Jahren päpstlicher Disziplinierung« unter Johannes Paul II. aufgeführt, die zwar »keine vollständige, aber eine substantielle Repräsentation« der Bestraften zu sein beansprucht. Darunter fallen berühmte Namen, denen ich schon in den ersten beiden Erinnerungsbänden meine Aufmerksamkeit geschenkt habe: der französische Moraltheologe Jacques Pohier OP, der belgisch-holländische Dogmatikprofessor Edward Schillebeeckx OP, der deutsche Dogmatikprofessor Karl Rahner
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