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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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fühle ich mich bestätigt durch die Analyse des Münchner Sinologen HANS VAN ESS , der den »institutionellen Konfuzianismus« als hoffnungslos vergangen betrachtet: »Untergegangen ist der staatliche Kult des Konfuzius, das Prüfungswesen auf der Basis der konfuzianischen kanonischen Schriften und die volkstümliche Verehrung des Konfuzius.« 10
    In der Tat, eine »Ethik der gesellschaftlichen Anpassung« widerspricht durchaus der Bedeutung des Selbst, des Gutseins und der Integrität der moralischen Person, wie sie in den »Gesprächen« des Konfuzius zum Ausdruck kommt. Einen positiven Beitrag zu einem Weltethos kann das traditionelle chinesische Ethos liefern, wenn es sich auf das besinnt, was in den »Gesprächen« des Konfuzius grundgelegt ist: Denn das heutige China (und die Welt) braucht ein Ethos, das den Wert des Menschen wieder neu entdeckt und seinen Selbstbehauptungswillen, Realitätssinn, seine moralischen Qualitäten und seine Durchhaltekraft stärkt. Ein Ethos, das Humanität, wahre Menschlichkeit , als zentralen Wert aufrechterhält. Ein Ethos, das den Menschen aber von vornherein als Teil einer Gemeinschaft und nicht als isoliertes Individuum betrachtet. Ein Ethos, das so die fundamentalen Beziehungen zu anderen in einer Gesellschaft auf allgemeingültige ethische Werte gründet, die nicht von der jeweiligen Interessenlage abhängen. Zu Recht betont der Konfuzianismus den Vorrang des Ethos vor Wirtschaft und Politik und den Vorrang der ethischen Person vor aller Institution.
    Unser China-Film endet mit einem spektakulären Blick auf die Große Mauer. Sie war erbaut worden vom ersten Kaiser QIN SHIHUANGDI , von dem schon die Rede war. Mein Schlusswort: »Seit Chinas Einigung und dem Bau der Großen Mauer unter dem ersten Kaiser Qin sind jetzt 2200 lange Jahre vergangen. Chinas Große Mauer schützt die Menschen nicht mehr. Aber Chinas Große Mauer trennt auch die Menschen nicht mehr. Auch die Menschen in China wollen sich heute nicht mehr abschließen, sondern sich öffnen: Sie wollen an der einen Welt teilhaben und die Zukunft der Menschheit mitgestalten. Die große humane Tradition Chinas wird ihnen dabei helfen: der Sinn für Menschlichkeit, Gegenseitigkeit und Harmonie«. 11
    China in einem grundlegenden Wandel
    Jedes Mal, wenn ich nach China zurückkehre, bin ich erstaunt über den rasanten Ausbau der Städte, der Infrastruktur, der Universitäten, und den wachsenden Wohlstand insbesondere in Peking und in den großen Zentren der Ostküste. Natürlich bin ich mir stets bewusst, dass wir es nach wie vor mit einer diktatorisch regierten kommunistischen Volksrepublik zu tun haben, in der eine einzige Partei das Machtmonopol hat und Menschenrechte oft verletzt werden.
    Aber zugleich weiß ich, dass die chinesische Gesellschaft in einem epochalen Übergang begriffen ist, dass es auch hier einander widerstrebende gesellschaftliche Kräfte gibt und dass es trotz aller autoritärer Personen und Strukturen der Kommunistischen Partei auch demokratisch denkende und der Zukunft zugewandte Männer und Frauen gibt. Gerade an den Universitäten und unter der jungen Generation ist der Wandel offenkundig.
    Jedenfalls vorbei die Zeiten, da MAO ZEDONG mit Experimenten wie dem »Großen Sprung nach vorn« und dann seine Frau JIANG QING und die »Viererbande« mit der »Kulturrevolution« Hunderttausende in den Tod trieben. Doch sicher wird man in China den Diktator Mao nie einfach, wie oft im Westen, mit den Diktatoren Stalin oder Hitler auf eine Stufe stellen, die bekanntlich vor allem Zerstörung hinterließen. Schließlich verdankt China keinem anderen als Mao die Befreiung von ausländischen Kolonialmächten und die innere Einigung und Erneuerung, sodass sein Bild bis auf den heutigen Tag nicht nur über dem Eingangstor zur »Verbotenen Stadt« in Peking hängt, sondern auch von vielen in ihren Privatwohnungen in Ehren gehalten wird.
    Nach dem Wechsel in der Führung auf dem Parteikongress im November 2012 scheinen sich die pragmatischen Technokraten gegenüber den systemkonservativen Ideologen eher durchzusetzen, auch wenn die Menschenrechtslage nach wie vor prekär ist.
    Weltethos in China willkommen
    Die Voraussetzungen für einen grundlegenden Wandel sind in China zurzeit besser denn je. China braucht keinen äußeren Feind mehr zu fürchten. Zwar ist die Lage des unterdrückten Tibet alles andere als zufriedenstellend, und die Grenzvölker der Uiguren und Mongolen bereiten Sorgen. Aber die innere Einheit

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