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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Chinas ist nicht mehr wie früher so oft von Einfällen bedroht. Auch die chronischen Hungersnöte und die daraus folgende Massenarmut sind unwahrscheinlich geworden.
    Allerdings sind die zu bewältigenden Probleme Chinas immens: die alten Übel wie Korruption und Vetternwirtschaft jetzt in neuen Formen und völlig neuen Dimensionen. Aber auch die neuen Sorgen: der demographische Wandel, der Klimawandel und die zunehmende Schere zwischen Reich und Arm, zwischen Küstenstädten und Bergdörfern. Die wachsenden städtischen Mittelschichten erwarten mehr als eine Wohlstandsgesellschaft. Sie sehnen sich – mit dem ständigen Blick auf den Westen und auf Hongkong – nach einer modernen Bürgergesellschaft, welche die Menschen- und Bürgerrechte garantiert und Gewaltenteilung wie Machtkontrolle realisiert. Also alles in allem mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wie sie schon die Vierte-Mai-Bewegung des großen Reformers und ersten Präsidenten der Chinesischen Republik, SUN YAT-SEN (1866   –   1925), angestrebt hatte. Dies erfordert eine weitgehende Erneuerung der politischen Strukturen und Institutionen, die dringend der Transparenz, der Stabilität und der Zukunftstauglichkeit bedürfen.
    Soll dieser höchst komplexe Wandel nicht von vornherein scheitern, muss es ethische Leitplanken geben, an die sich alle, auch die Regierenden und die wirtschaftlich Mächtigen, zu halten haben. Eine »harmonische Gesellschaft«, wie sie zurzeit von der Führung propagiert wird, bedarf deshalb eines ethischen Referenzrahmens , der die staatliche Rechtsordnung abstützt und sichert. Und für die chinesische Gesellschaft ist die Referenzgröße allerersten Ranges nach wie vor der Weise aus dem 5.   Jahrhundert v. Chr.: KONFUZIUS mit seinen ethischen (nicht seinen patriarchalen und autoritären) Maximen, die zu einer sozialen Harmonie verhelfen können. Sein Humanismus ist Chinas Beitrag zu einem globalen Menschheitsethos, einem Weltethos.
    Am Zweiten Internationalen Sinologenkongress 2009 , organisiert von der Renmin-Universität, die als staats- und parteinah gilt, erstaunt mich, wie protokollarisch erstrangig ich, begleitet vom Generalsekretär unserer Weltethos-Stiftung, Dr.   Schlensog, behandelt werde. Ich habe die Ehre, zur Eröffnung des Kongresses die »keynote speech« zu halten über das Thema »Traditional Chinese Ethic as a Basis for a Global Ethic«. Doch auch zur Eröffnung des neuen Institute of Advanced Religious Studies habe ich ein Statement abzugeben und spreche über den »Clash of Civilizations« und »Global Politics«. Entsprechend ergeben sich für uns Gesprächsmöglichkeiten mit hochrangigen Repräsentanten von Staat und Universität. Treibende Kraft hinter diesen Kongressen ist mein Freund YANG HUILIN , der zu meiner Freude zum Vizepräsidenten der Renmin-Universität aufgerückt ist.
    Überrascht hat mich besonders die Einladung des Ministers für religiöse Angelegenheiten, WANG ZUOAN, zu einem Abendessen im Gästehaus des Ministeriums im kleinsten Kreis (mit Dr. Schlensog nur acht Personen), nachdem man uns die verschiedenen Pavillons für die einzelnen in China vertretenen großen Religionen gezeigt hatte. Die Unterhaltung beim Essen geht anfangs etwas zäh voran. Doch hellwach wird der Minister, als ich ihn nach seiner Einstellung zum Zweiten Vatikanum frage. Ich erkläre ihm, wie in Diözesen meiner Schweizer Heimat der Bischof gewählt wird, und zwar durch eine Vertretung des Klerus vor Ort. Eine Bestätigung durch Rom erfolgt erst nachher. Schon früher war mein Artikel über diese nach alter Tradition erfolgende Bestellung der Bischöfe ins Chinesische übersetzt worden. Wäre dies nicht ein pragmatisches Lösungsmodell für den seit der kommunistischen Revolution herrschenden Dauerzwist zwischen dem kommunistischen Regime und dem Vatikan: Wahl der Bischöfe durch eine Vertretung des chinesischen Klerus, anschließend Bestätigung durch Rom?
    Eine heikle Wende nimmt unser Gespräch, als die Rede auf den wenige Tage zuvor erfolgten Eklat auf dem China-Symposium bei der Frankfurter Buchmesse kommt: Die beiden oppositionellen Schriftsteller DAI QING und BEI LING , zuerst auf Druck Pekings von der Gästeliste gestrichen, dürfen schließlich doch ein Grußwort an die Versammlung richten, worauf ein Großteil der chinesischen Delegation den Saal verlässt. »Die Deutschen mögen uns nicht«, kommentiert der Minister. Ich kontere freundlich, aber bestimmt: »Die Deutschen mögen die Chinesen

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