Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
heutzutage nicht viel, aber vielleicht ein Anfang? Wie kann man Ihre Ideen an noch mehr meinungsbildende Menschen heranbringen? Könnte man wichtige Leute einladen, um eben etwas zu ›bewegen‹, ehe der Materialismus uns völlig verschlingt? Den großen Kirchen laufen die Leute weg, ebenso den großen Parteien oder Gewerkschaften, aber viele sind ›auf der Suche‹ …«.
Das muss ich zweimal lesen, um es zu glauben! Das wäre ja buchstäblich ein Geschenk des Himmels! Denn zur gleichen Zeit laufen die Verhandlungen mit der Katholisch-Theologischen Fakultät, in welche nach meiner Emeritierung 1996 mein seit 1980 fakultätsunabhängiges Institut für Ökumenische Forschung zurückgeführt werden sollte. Und an ein Entgegenkommen meiner alten Fakultät ist nicht zu denken. Ich bin gerade froh, dass immerhin Prof. Hünermann, der öfters gegen mich und meine Schüler, besonders Karl-Josef Kuschel, »agiert« hatte, von der Direktion des Instituts Abstand nimmt. Aber keinem meiner Schüler wird die Direktorenstelle gegönnt. Man mutet mir also zu, das gesamte Mitarbeiterteam zu entlassen. »Das wär’s wohl gewesen«, stellt nach der entscheidenden Sitzung Stephan Schlensog, damals wissenschaftlicher Assistent, resigniert fest. Nein, sage ich, ich weiß zwar auch keine Antwort, bin aber entschlossen, keinesfalls aufzugeben.
In dieser aussichtslosen Situation also meldet sich Graf von der Groeben, den ich umgehend nach Tübingen einlade. Ich bleibe immer noch vorsichtig. Denn vor nicht allzu langer Zeit hatte sich ein vornehmer Herr aus Spanien angemeldet, der offensichtlich in der Elektrizitätswirtschaft des Landes eine führende Stellung einnimmt und mir mit einer großen Summe ebenfalls hatte helfen wollen. Aber er hatte sich dann freundlich verabschiedet und ward nie mehr gesehen. Ich habe keine Ahnung, warum. Und Jahre später war ein fränkischer Freiherr aufgetaucht, der sich für die Stiftung Weltethos stark interessiert hatte, aber nach einem intensiven Gespräch in Tübingen ebenfalls nie mehr etwas von sich hören ließ.
Das Gespräch mit Graf von der Groeben hingegen ist substantiell. Aus verständlichen Gründen frage ich ihn, woher er seine Millionen habe. Um mir seine Grundüberzeugung auszudrücken, zieht er aus seinem Portemonnaie einen kleinen vergilbten Zettel. Darauf steht ein kurzer Text von Mahatma Gandhi: »Die sieben sozialen Sünden: Politik ohne Prinzipien, Reichtum ohne Arbeit, Genuss ohne Gewissen, Wissen ohne Charakter, Geschäft ohne Moral, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Religion ohne Opfer.« Dann erzählt er mir, dass er aus Ostpreußen stamme, wo seine Familie ein großes Gut besessen habe, mit je einem Drittel Land, Wald und See. Seine Frau Ria sei eine geborene Gräfin Lehndorff, Schwester des berühmten Autors des »Ostpreußischen Tagebuchs« über die Flucht der Deutschen. Seine Mutter war auf ihrem Gut bei den Leuten geblieben und von den Russen erschossen worden. Er war mit seiner Frau zu Pferd ohne jeglichen Besitz in den Westen geflohen, zur gleichen Zeit wie seine Cousine Marion Gräfin Dönhoff, später langjährige Herausgeberin der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit«. Im Westen hatte Graf Groeben zuerst mit Antiquitäten gehandelt – freilich erfolglos. Durch einen Zufall aber war ihm eine Vertretung von »Coca-Cola« angeboten worden, nur weil er die dafür notwendigen größeren Mengen Zucker organisieren konnte. Er hatte damals überhaupt nicht gewusst, was Coca-Cola ist und wie viel Gewinn ihm dieses gerade von der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland eingeführte Getränk bringen kann. Er hatte jedenfalls damit sein Vermögen gemacht: »Ich hatte viel Glück und gute Schutzengel. Nun möchte ich mich ›bedanken‹ …«
Ich bin beeindruckt und mit ihm der Meinung, die von ihm einzubringende große Summe Geldes nicht einfach sukzessive auszugeben, sondern damit eine Stiftung gründen. Sie soll das Geld vernünftig verwalten, zusammenhalten und noch zusätzliche Mittel akquirieren. So kommt es denn zur Gründung der Stiftung Weltethos mit einem Kapital von fünf Millionen DM. In kürzester Zeit verfassen wir mit Hilfe des Kanzlers der Universität, dem Juristen Prof. GEORG SANDBERGER , die Satzung und erhalten schon bald die Genehmigung des Regierungspräsidiums Tübingen. Der Zweck der Stiftung ist formuliert mit den drei Stichworten: interkulturelle und interreligiöse Forschung, Bildung und Begegnung .
Die Eröffnungsfeier findet am 23.
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