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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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  Oktober 1995 statt im großen Hörsaal des modernen Kupferbaus der Universität Tübingen. Viele Studenten sind da, aber auch viel Prominenz. An der Spitze der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Dr. h.c. ERWIN TEUFEL . Er unterstützt unser Unternehmen von Anfang an energisch. Das zeigt sich auch in den zentralen Sätzen seiner Grundsatzrede: »Umso entscheidender ist es, dass sich sittliche Grundüberzeugungen herausbilden, die sich im privaten wie im öffentlichen Leben, im politischen wie im Lebensalltag durchsetzen: aktive Toleranz, Respektierung der Menschenrechte, füreinander einstehen. Umso wichtiger ist es, dass diese sittlichen Grundüberzeugungen Eingang finden in die Erziehung und das Zusammenleben aller Menschen in Würde, dass sie Frieden und Freiheit sichern. Und all das als Grundlage eines universellen, nicht eines partikularen Ethos; eines Ethos, das für alle gilt und alle allen gegenüber verpflichtet.«
    Es ist ein großer Moment für mich, anschließend meine programmatische Festrede über »Weltethos und Erziehung« zu halten, worin ich über das bisher im Projekt Weltethos Erreichte berichte und auf seine zukünftigen Möglichkeiten hinweise. Ich grenze mich ab einerseits vom Lamentieren der Kulturpessimisten verschiedener Provenienz, denen zufolge die heutige Jugend so schlecht sei wie nie zuvor. Auch will ich keinesfalls in das öffentliche Moralisieren hoher Kirchenmänner einstimmen, die, als Zölibatäre zumal, nicht genug auf Sexualmoral und Sexualerziehung herumreiten können. Andererseits will ich mich abgrenzen gegenüber immer neuem Reglementieren und Kodifizieren. Gewiss, Rechtsnormen und Gesetze sind notwendig, aber sie machen die persönliche ethische Gesinnung nicht entbehrlich. Man kann verstehen, betone ich, dass der Ruf nach Orientierung, Perspektiven, ethischen Grundlagen in der Gesellschaft überhaupt und in der heutigen Pädagogik besonders laut erklingt. Dies mache ich an der Problematik von Jugend und Gewalt deutlich. Gefordert sei eine Pädagogik für Familie und Schule, die weder autoritär noch antiautoritär ist. Die bei Jugendlichen Freiheitsräume respektiert und doch auf Autorität nicht verzichtet. Die gewiss Verständnis und Zuwendung zeigt, aber doch auch klare Grenzen setzt und vor Sanktionen nicht zurückscheut. Die Weltethos-Erklärung könne dafür Leitlinien bieten.
    In seinem kurzen, aber von tiefen Überzeugungen getragenen Schlusswort gibt Graf Groeben der neuen Stiftung den Wunsch mit auf den Weg: »Sie soll den Menschen zeigen, daß es befriedigendere Werte gibt als den materiellen Genuß und daß es Freude macht, sich für ein hohes Ziel einzusetzen.« 5
    Weltethos und Erziehung
    In diesem Kontext darf ich in der Rückschau die Verdienste von Religionspädagogen nicht vergessen, die sich von Anfang an besonders für ein Weltethos eingesetzt haben. In erster Linie der Tübinger evangelische Religionspädagoge KARL ERNST NIPKOW , der die Grundlagen der Religionspädagogik neu durchdacht hat und den Weltreligionen wie dem Weltethos große Aufmerksamkeit zugewandt hat. Für die Praxis hat vor allem sein Nürnberger Kollege JOHANNES LÄHNEMANN bleibende Wichtigkeit, der schon ein Jahr nach der Weltethos-Erklärung in Nürnberg einen großen internationalen Kongress über »Weltethos und Erziehung« organisiert und seither unermüdlich in Vorträgen, Vorlesungen und Veröffentlichungen für das Weltethos wirbt; das von ihm initiierte internationale »Nürnberger Forum« bietet alle drei Jahre eine Plattform, auf der regelmäßig die Weltethos-Idee prominent zur Sprache kommt. Auch der katholische Tübinger Religionspädagoge ALBERT BIESINGER hat sich immer wieder für ein Weltethos in der Pädagogik eingesetzt.
    Doch ging es der Stiftung Weltethos von Anfang an nicht nur um die pädagogische Wissenschaft, sondern auch um die pädagogische Praxis – ein Hauptanliegen unseres Stifters Graf Groeben. Es hat uns ermutigt, dass sich in Tübingen gerade in der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Mitglieder des internationalen Studentennetzwerkes AIESEC (Association Internationale des Étudiants en Sciences Économiques et Commerciales) für das Weltethos intensiv interessierten. Sie organisierten ein Weltethos-Symposion für 120   Studierende aus der ganzen Welt im Fabri-Haus der Universität Tübingen in Blaubeuren vom 1. bis 5.   Juni 1997. 6 Das Ganze stand unter der Schirmherrschaft von HELMUT SCHMIDT und der UNESCO, und man konnte so

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