Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
prominente Referenten gewinnen wie die langjährige Chefredakteurin der »Zeit« MARION GRÄFIN DÖNHOFF .
Im selben Jahr vom 5. bis 17. August organisiert die Stiftung Weltethos ein Interreligiöses Jugendcamp »Find your World« mit jüdischen, christlichen und muslimischen Teilnehmern in der Nähe von Innsbruck. 7 In den ersten Tagen diskutieren die Jungen und Mädchen nach Religionen getrennt, nachher gemeinsam. Ich besuche das Camp am 15. August und diskutiere mit den hoch motivierten jungen Leuten. Mir fällt auf, dass diejenige Gruppe, die am meisten Schwierigkeiten empfindet, ihre eigene Religion den anderen zu erklären, die Christen sind, die mit Dogmen wie Dreifaltigkeit und Inkarnation auf Unverständnis bei Juden und Muslimen stoßen. Die Weltethos-Idee erweist sich aber dann als hilfreiche Brücke zwischen den Religionen. Wir feiern den Abschluss mit einem gemeinsamen Essen, zu dem alle Religionsgruppen etwas beitragen. Eine wichtige Rolle spielt bei allem DORIS WEBER , Redakteurin bei »Publik-Forum«, die anschließend das Camp in der Jugendbeilage »Provo« sehr attraktiv dokumentiert.
Die Vermittlung der Weltethos-Idee an junge Menschen, vor allem im Bereich der Schulen, wird in der Folge zu einem der wichtigsten Pfeiler bei der Stiftungsarbeit. Wichtige Impulse gehen aus von zwei von der Stiftung Weltethos initiierten Schulwettbewerben in Deutschland und in der Schweiz. Ich habe das Glück, für die Jury beider Wettbewerbe sehr anerkannte Vorsitzende zu gewinnen: für Deutschland die bereits erwähnten Tübinger Religionspädagogen Prof. KARL ERNST NIPKOW und Prof. ALBERT BIESINGER , für die Schweiz aber den Berner Religionspädagogen Prof. KLAUS WEGENAST (gest. 2006). Die Preisverleihung des deutschen Weltethos-Wettbewerbs für Unterrichtsversuche und Projekte findet am 11. Juli 1998 im Kupferbau der Universität Tübingen statt, die von der Schweizer Stiftung am 25. Januar 2000 in der Zürcher Moschee an der Kochstraße. Für das Judentum spricht Dr. SIGI FEIGEL , langjähriger Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (gest. 2004), für den Islam die muslimische Theologin HALIDE HATIPOGLU .
Die siegreichen Projekte des deutschen Wettbewerbs werden von Prof. JOHANNES LÄHNEMANN und seinem langjährigen Mitarbeiter Dr. WERNER HAUSSMANN in zwei Bänden umfassend dokumentiert und publiziert: »Unterrichtsprojekte Weltethos I und II« (Hamburg 2000). Dort finden sich sehr viele praktische Anregungen für den Unterricht. In den Jahren 2006/07 und 2009/10 finden auch in der französischen Schweiz zwei Schulwettbewerbe statt. Der sehr aktive Präsident der Jury ist der protestantische Ethiker Prof. DENIS MÜLLER (Lausanne).
Aus diesen vielversprechenden ersten Schritten ist im Laufe der Jahre ein umfassendes pädagogisch-didaktisches Instrumentarium gewachsen. Ungezählte schulische Aktivitäten und Projekte hat unsere Stiftung in dieser Zeit entwickelt, weit über Deutschland hinaus. Aber Erziehung, Schule und Erziehungswissenschaft sind nur einer der Gesellschaftsbereiche, für die das Projekt Weltethos konkretisiert und appliziert werden musste. Nicht weniger wichtig ist der vielfältige Bereich der Kultur.
Weltethos und Literatur, Philosophie, Kunst
Unter meinen »Vorstößen ins Neuland« (Kap. III) war als Pilotprojekt III »Theologie und Literatur« genannt. Entscheidende Hilfe bekam ich dabei vom Literaturwissenschaftler und Literaten WALTER JENS und von unser beider Schüler KARL-JOSEF KUSCHEL . Dieser entwickelt sich zum führenden Spezialisten auf dem Grenzgebiet »Religion und Literatur« und so schließlich auch für die Problematik von Weltethos und Literatur. In Publikationen und Vorlesungen thematisiert er dieses Spannungsfeld regelmäßig. Einen Schwerpunkt bilden dabei Gotthold Ephraim Lessing und sein Drama »Nathan der Weise« mit der berühmten Ringparabel . Mit der Problematik »Die Ringparabel und das Projekt Weltethos« beschäftigt sich auch ein Symposion an der Universität Fribourg am 25. und 26. April 2008. Die Initiative dazu hatte der Politikwissenschaftler und frühere Rektor der Universität St. Gallen, mein alter Freund ALOIS RIKLIN, ergriffen. Die Beiträge aus verschiedenen Religionen und aus philosophischer Sicht sind dokumentiert in einem schönen Band. 8
Aber nicht nur die Literatur, sondern auch die Philosophie leistet einen wichtigen Beitrag zur Idee eines Weltethos. Von meiner eigenen philosophischen Begründung
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