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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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(vgl. Kap. IV: Professionelle Kommunikatoren: Wojtyła – Reagan). Als ich mich 1977 auf Einladung der Kennedy-Familie in Washington aufhalte, lasse ich Präsident Carter das eben in amerikanischer Ausgabe erschienene Buch »Christ sein« (»On Being a Christian«) zukommen, für das er sich sofort bedankt und handschriftlich seinem Brief hinzufügt: »He may come by to see me«. Leider war ich schon auf dem Sprung zum Rückflug nach Europa, und später hätte ich es als anmaßend angesehen, mich einfach selber ins Weiße Haus einzuladen.
    Doch dem telegenen, optimistischen und hyperpatriotischen Ronald Reagan gegenüber verlor Carter die Wahl 1980, nicht wegen seines Ethos, sondern wegen ungelöster innenpolitischer Probleme (Arbeitslosigkeit, Inflation) und nicht einfach zu bewältigender außenpolitischer Herausforderungen. War er doch gleichzeitig konfrontiert mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan (in der Rückschau das »Vietnam« der UdSSR) und der Geiselaffäre in Iran (von Carter-Gegnern wohl bewusst hinausgezögert im Hinblick auf die amerikanischen Wahlen). Aber sowohl in Afghanistan wie im Irak hätte sich Präsident Carter wohl nicht zu solch militärischen Abenteuern und massiven Menschenrechtsverletzungen verführen lassen. Es brauchte 20 Jahre später einen George Bush Junior, um zu zeigen, wie verhängnisvoll für eine Nation eine gewissenlose »Realpolitik« sich auswirkt.
    Anders als seine unmittelbaren Nachfolger hat Präsident Carter auch nach seiner Amtszeit an seinen Idealen festgehalten, und wie kaum ein zweiter Präsident blieb er, unterstützt von seinem »Carter Center: Waging Peace. Fighting Disease. Building Hope« in Atlanta, höchst aktiv tätig für Menschenrechte und Friedenstiftung in Krisengebieten dieser Erde, aber auch mutig im eigenen Land. Ich bewundere ihn dafür.
    Kein Politiker in den USA wagt ein so klares und unzweideutiges Urteil über das Versagen der USA in Sachen Menschenrechte. So schreibt er in der »International Herald Tribune« vom 25. 6. 2012: »Die Vereinigten Staaten geben ihre Rolle als globale Vorkämpferin der Menschenrechte auf.« Diese Entwicklung seit dem 11. September 2001 werde mitgetragen und verstärkt durch Aktionen der beiden Kongressparteien in Exekutive und Gesetzgebung ohne Widerstand der allgemeinen Öffentlichkeit. »Das Resultat: Unser Land kann nicht mehr mit moralischer Autorität zu diesen wichtigen Problemen sprechen.« Die amerikanische Regierung verletze mit ihren Aktionen gegen den Terrorismus mindestens zehn der 30   Artikel der Menschenrechtserklärung, sogar das Verbot »grausamer, unmenschlicher und herabwürdigender Behandlung und Bestrafung«. Verhaftungen nur auf Verdacht hin, willkürliche Haft nicht nur in Guantánamo, Angriff auf elektronische Kommunikationssysteme, Tötung Hunderter unschuldiger Frauen und Kinder bei Angriffen mit unbemannten Drohnen: alles im Namen der nationalen Sicherheit approbiert von den höchsten Autoritäten in Washington, alles früher völlig undenkbar. Carters Appell: »Als besorgte Bürger müssen wir Washington überzeugen, den Kurs zu ändern und moralische Führung wieder zu gewinnen gemäß den internationalen Menschenrechtsnormen, die wir uns offiziell zu eigen gemacht und durch die ganzen Jahre hochgehalten haben.«
    Persönlich bin ich Jimmy Carter im Rahmen einer Jahrestagung des InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs (IAC) am 3. Juni 1997 im niederländischen Noordwijk am Meer begegnet. Erfreut kommt er mit seiner Frau Rosalynn auf mich zu und lobt das Buch »Christ sein«. Die ökumenische Übereinstimmung an der christlichen Basis bereitet dem gläubigen Baptisten offensichtlich Freude.
    Auf der Fahrt von Noordwijk zu einem festlichen Abendessen in Amsterdam sitze ich im Auto neben ihm und habe Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch. Es dreht sich vor allem um Wahrhaftigkeit in der Politik: Es sei nicht leicht, sich als Staatsmann stets an die Wahrheit zu halten. Er dürfe oft nicht sagen, was er wisse, müsse bewusst verschweigen oder ausweichende Antworten geben. Aber an dem ethischen Imperativ »nicht lügen« habe er stets festgehalten. Und im Zusammenhang des israelisch-palästinensischen Konflikts fällt das bereits zitierte Wort: »In my time we did not lie in the White House« – »In meiner Amtszeit log man nicht im Weißen Haus«.
    Integrität und ökumenische Gesinnung habe ich auch schon früh bei der CDU-Vorsitzenden und späteren

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