Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Institutionen, sondern auch das Versagen der Moral, des Ethos von einzelnen Personen, das oft dem Versagen der Märkte und Institutionen zugrunde liegt, ist verantwortlich für ein Versagen der Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft funktioniert also nur gut, wenn ihr ein klar geregelter rechtlicher Rahmen gesetzt ist und sie getragen wird vom Verantwortungsbewusstsein der wirtschaftlichen Akteure. 15
Primat des Ethos gegenüber Wirtschaft und Politik
Wirtschaft, Politik und Ethik sind für mich keine unversöhnbaren Welten. Aber mir ist daran gelegen, deutlich zu machen, was den Vorrang, den Primat , hat. Wichtig ist mir der Primat der Politik gegenüber der Ökonomie: Die Politik muss die Regeln setzen und durchsetzen, und die Wirtschaft muss sich daran halten. Aber noch wichtiger ist mir, den Primat des Ethos gegenüber der Ökonomie und gegenüber der Politik zur Geltung zu bringen. So grundlegend Wirtschaft und Politik sind, sie sind nur einzelne Dimensionen der allumfassenden Lebenswelt des Menschen. Und um der Menschlichkeit des Menschen willen müssen sie ethischen Maßstäben der Humanität und so dem Gemeinwohl unterworfen sein. Weder die Ökonomie noch die Politik also haben den Vorrang, sondern die in allem zu wahrende unantastbare Würde des Menschen, seine mit dem Menschsein gegebenen Grundrechte und Grundpflichten. Wirtschaft und Politik dürfen also nie von ethischen Normen losgelöst operieren.
So ist denn meine Position deutlich: Ich kann weder die bloße Gesinnungsethik der Ideal-»Ökonomen« akzeptieren, die Gewinnstreben als von vornherein unmoralisch diskreditiert, noch die bloße Erfolgsethik der Real-Ökonomen , wie sie hemmungslos besonders, aber nicht nur, an der Wall Street praktiziert wird. Für sie »heiligt« der Gewinn alle Mittel, im sogenannten »Notfall« auch unmoralische wie Vertrauensbruch, Lug und Trug sowie hemmungslose Raffgier.
Es geht mir also wie in der Politik so auch in der Wirtschaft um ein Ethos der Verantwortung , welches wirtschaftliche Strategien und ethisches Urteil überzeugend verbindet. Dieses neue Paradigma von Wirtschaftsethos wird darin konkret, dass es – bei aller Legitimität des Gewinns – wirtschaftliches Handeln daraufhin überprüft, ob es höhere Güter oder Werte verletzt. Konkret, ob es sozial verträglich, umweltverträglich und zukunftsverträglich ist.
Diesen Ansatz aktualisiere ich in der immer akuter werdenden Wirtschaftskrise ständig, sodass ich den zweiten Teil des Buches, über »Weltethos für Weltwirtschaft«, mir nun noch einmal vornehme, völlig neu gestalte und stark erweitere. In der Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise 2010 veröffentliche ich ihn unter dem Titel: »Anständig Wirtschaften . Warum Ökonomie Moral braucht « . Unter anständigem Wirtschaften verstehe ich mehr als nur ein korrektes, solides, legales wirtschaftliches Handeln, mehr als das äußerlich korrekte, im Rahmen der Gesetze sich bewegende Benehmen, vielmehr ein von innerer sittlicher Grundhaltung getragenes, ethisches Verhalten, das rechtlich nicht erzwingbar und doch geschuldet ist. Gibt es doch Pflichten, die sich nicht einfach aus Rechten ableiten lassen, weil sie direkt in der Menschenwürde gründen. Ich plädiere also für Anstand in der Wirtschaft in diesem umfassenden Sinn, für das, was Thomas Mann im Zusammenhang mit den Zehn Geboten »Menschenanstand« genannt hat.
Im Jahr 2009 erarbeitet eine Expertengruppe von Wirtschaftsleuten, Wirtschaftswissenschaftlern und Ethikern im Auftrag der Stiftung Weltethos ein »Manifest für ein Globales Wirtschaftsethos« . 16 Dieses Manifest fasst den Inhalt eines Weltwirtschaftsethos präzis zusammen: Die beiden Prinzipien aus der Weltethos-Erklärung von 1993 – das Humanitäts- und Gegenseitigkeitsprinzip – bilden auch die Grundlage (Teil I) des neuen Manifests (Art. 1 – 4). Und wie in der Weltethos-Erklärung bauen im Manifest jene vier Imperative darauf auf, von denen bereits die Rede war: nicht morden (vgl. Art. 5–6), nicht stehlen (vgl. Art. 7 – 9), nicht lügen (vgl. Art. 10 – 11), nicht Sexualität missbrauchen (vgl. Art. 12 – 13).
Was ist das Besondere dieses Manifests ? Es gibt ja heute in der Tat schon eine Fülle von durchaus nützlichen Ethikerklärungen, »Codes of Conduct«, Unternehmensleitsätzen. Diese sollen durch das Manifest nicht ersetzt werden. Vielmehr bietet das Manifest einen Maßstab, an dem sich die Praxis in einem Unternehmen und die dort
Weitere Kostenlose Bücher