Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Menschen werden Brüder …« So kündet sich das Weltethos musikalisch schon früh an. 1986 wird dieser Gesang wegen der Versinnbildlichung der gemeinsamen Werte zur Europa-Hymne erkoren, und Beethovens Autograph (in der Staatsbibliothek zu Berlin) wird von der UNESCO zum »Weltdokumentations-Erbe« (»Memory of the World«) erklärt.
Neben Erziehung und Kultur sind es vor allem die Gesellschaftsbereiche Politik und Wirtschaft, die angesichts der weltweiten Krisenerscheinungen dringend der weltethischen Reflexion bedürfen. In all diesen Bereichen bin ich gefordert – und manchmal beinahe überfordert –, in der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. So kommt eine unglaubliche Menge von Einladungen aus aller Welt auf meinen Schreibtisch, von denen ich nur einen Bruchteil annehmen kann. Damit sich der Leser eine gewisse Vorstellung von meinen Aktivitäten machen kann, ist in der Anmerkung eine (unvollständige) Liste meiner Verpflichtungen in den 1990er-Jahren aufgeführt. 10
Grundorientierung für eine humanere Weltordnung
Schon zwei Jahre nach Gründung der Stiftung Weltethos kann ich ein Buch veröffentlichen mit dem Titel »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft« (München 1997). Gewidmet ist es »den Begründern der Stiftung Weltethos, Graf und Gräfin von der Groeben in Dankbarkeit«.
Ein kühnes Unterfangen, das ich mit historischem Wissensdurst und politischer Leidenschaft betreibe. Natürlich bin ich mir des Einwands bewusst: Wie kommt denn gerade ein Theologe dazu, sich ein Urteil anzumaßen auf diesen schwierigen Gebieten von Politik und Wirtschaft? Aber ich bin politisch nicht ahnungslos. Wer seit seinem zehnten Lebensjahr tagtäglich nicht nur Zeitungen liest, sondern sich auf jede mögliche Weise kundig zu machen versucht, der darf sich auch einmal politische Urteile erlauben, selbst wenn er kein Politiker oder Politologe und auch kein »politischer Theologe« ist.
Doch bin ich vielleicht moralisch überheblich? Nein, ich will niemanden »Mores lehren«. Wer sich zu moralischen Fragen äußert und für ein Ethos eintritt, braucht sich nicht für besser zu halten als andere. Und wer sich ständig selbstkritisch immer wieder befragt, der darf sich auch in aller Fehlbarkeit ethisch motivierte Urteile gestatten, obwohl er kein Heiliger und kein Eiferer ist, sich aber einer anderen Instanz verantwortlich weiß. Deswegen zitiere ich gerade in diesem Zusammenhang sehr gern ein mir liebes lateinisches Wort: »Dixi, et salvavi animam meam« – »Ich habe es gesagt und habe meine Seele gerettet«.
Natürlich wäre gerade dieses Buch gar nicht möglich gewesen ohne das, was ich von anderen empfangen habe. Wollte ich all denen in der weiten Welt danken, die mir in sechs Jahrzehnten durch Begegnungen, Gespräche und Bücher, auf Reisen, Kongressen, Expertentreffen und bei Gastsemestern geholfen haben, diese Welt, ihre Politik und Wirtschaft besser zu verstehen, müsste ich allzu viele Seiten füllen. Ich beschränke mich darauf, sozusagen in Stellvertretung, denen meinen Dank auszudrücken, die mir im Rahmen der Universität Tübingen für dieses Buch eine unschätzbare Hilfe bedeuteten durch ihre aktive Teilnahme an unseren interdisziplinären Kolloquien und Seminaren und vielfältige persönliche Kontakte: den Professoren OTTO BACHOF (Öffentliches Recht), THEODOR ESCHENBURG (Politikwissenschaft), NORBERT KLOTEN (Wirtschaftswissenschaft), GERD KOHLHEPP (Wirtschaftsgeographie) und VOLKER RITTBERGER (Politikwissenschaft). Dazu kommen von auswärts die Professoren PETER ULRICH (Wirtschaftsethik, St. Gallen), ALOIS RIKLIN (Politikwissenschaft, St. Gallen) und HERMANN SAUTTER (Volkswirtschaft, Göttingen). 11
Einige dieser Autoren konnte ich auch gewinnen für ein weiteres spannendes Buchprojekt: »Wissenschaft und Weltethos«, herausgegeben von mir und Karl-Josef Kuschel (München 1998). Führende Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen behandeln hier die praktischen Auswirkungen des Weltethos auf Politik, Wirtschaft, Recht, Ethik, Pädagogik und Naturwissenschaften. Eine umfassende Bibliographie dokumentiert den Stand der nationalen und internationalen Diskussion. 12
Mein ganzes Leben hatte ich größten Respekt vor den Kenntnissen erstklassiger Fachleute und frage stets neugierig, wie sie diesen oder jenen Punkt sehen und einschätzen würden. Nicht vergessen seien bei dieser Gelegenheit auch die hochrangigen Zeitgenossen aus der Welt der Politik und Kultur, des
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