Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
solle ruhig auf dieser Linie weitermachen. Später (11. Dezember 1997) lädt er mich zur Jahresversammlung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes in Bonn ein, ein fast 1000-köpfiges Publikum, wo ich noch einmal meine Auffassung zum Thema »Globalisierung erfordert ein globales Ethos« vertreten darf und für Horst Köhler fast zu weit gehe in meiner Kritik an der Finanzwirtschaft.
Aber erfreulich ist: Auch dem Debis-Chef Mangold gibt das alles doch zu denken. Er besucht mich in Tübingen und lädt mich ein, beim großen Debis-Kongress in Berlin am 21. September 1999 die Eröffnungsrede zu halten. Gerne nehme ich die Einladung an. Auch hier warne ich wieder vor der Gefährdung des Weltfinanzsystems und fordere die Einhaltung ethischer Standards. Ich bestehe meinen Auftritt mit ausgewogener Kritik nach beiden Seiten, sodass auch zwei Gewerkschaftsführer mir großes Lob zollen.
Nach mir sprechen zwei überaus erfolgreiche Konzernherren, die auf der Höhe ihres Ansehens stehen und sich erst zu ihren eigenen Vorträgen einfinden: der Chef von Mannesmann, KLAUS ESSER , und der Chef des ursprünglichen Wasserkonzerns Vivendi, JEAN-MARIE MESSIER . Beide zeigen sich als Vertreter einer ultraliberalen aggressiven Geschäftspolitik, für die allein der Erfolg zählt und das Ethos keine Rolle spielt. Sympathischer als die beiden ist mir Bundeskanzler GERHARD SCHRÖDER , der die Schlussrede hält und mich fröhlich begrüßt mit dem Satz: »Sie werden auch nicht älter!« Das freut mich, wiewohl es nicht stimmt.
Sind diese beiden Konzernchefs, die des Ethos nicht bedürfen, frage ich mich, auf Dauer erfolgreiche Manager? Als solche sind sie eingeladen. Aber wenig später wird Esser, der die feindliche Übernahme seiner Firma Mannesmann durch den britischen Konzern Vodafone schließlich akzeptiert hatte, in einen großen Strafprozess verwickelt, weil er unter Verdacht steht, unberechtigt und unter Einflussnahme von Vodafone Zahlungen von 50 Millionen DM erhalten zu haben. Was offenbar zu einer Verurteilung nicht reichte. Messier aber, der ehrgeizige Chef von Vivendi, hatte aus dem staatlichen Wasserkonzern Générale des Eaux den zweitgrößten Medienkonzern der Welt zusammengezimmert – und ihn beinahe in den Ruin getrieben: 35 Milliarden Euro Schulden! Er muss seinen Hut nehmen und wird später »Wirtschaftsberater«. Erfolgreiche Manager?
Im Jahr 1998 muss ich mich noch in einem anderen Kontext bewähren. Von der International Confederation of Stock Exchanges bin ich zur Jahresversammlung der Börsenchefs der ganzen Welt nach Kuala Lumpur/Malaysia eingeladen, um über die Frage zu reden »Do we need ethical standards for international financial transactions?« . Für mein Referat, in dem ich für so elementare ethische Standards wie »nicht lügen und nicht stehlen« eintrete und sie konkretisiere, erhalte ich reichlich Beifall und keinen nennenswerten Widerspruch.
In der anschließenden Diskussion sitze ich am Round Table zusammen mit RICHARD GRASSO , dem Chief Executive Officer (Vorstandsvorsitzender) der New Yorker Börse. Er argumentiert, in der Wirtschaft komme man mit »ethics for sunshine«, also einer Schönwetter-Ethik, nicht durch. Man solle sich lieber auf den Markt verlassen, der nicht reguliert zu werden brauche, da er auf dem öffentlichen Vertrauen (»public confidence«) basiere.
Wie wenig aber der Chef der New Yorker Börse selbst diese »public confidence« verdient, zeigt sich wenig später: Dieser Exponent der Wall Street kommt vor Gericht. Als Chef einer Non-Profit-Organisation hatte er sich in weniger als zehn Jahren mehr als 200 Millionen Dollar Profit auszahlen lassen. Im Grunde hätte der ganze Vorstand angeklagt werden müssen! An derselben New Yorker Börse wirkte zur gleichen Zeit BERNARD L. (»BERNIE«) MADOFF , der größte Finanzbetrüger aller Zeiten, der seine Kunden um 51 Milliarden Euro betrog. Die »New York Times« (Leitartikel vom 27. Mai 2004) schreibt diesen Wall-Street-Skandal zwei besonders destruktiven Trends der neuen Wall-Street-Blase zu: »Shameless greed of chief executives« (»schamlose Gier von leitenden Managern«) und »A total breakdown of corporate governance« (»ein totaler Zusammenbruch der Unternehmenskultur«).
Für mich sind das alles eklatante Beispiele dafür, dass die globale Marktwirtschaft nur gut funktioniert in einem ethischen Bezugsrahmen, einem »moral framework«. Denn nicht nur das Versagen der Märkte selbst und das Versagen der
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