Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
»responsibilities«. Bei der späteren Ausarbeitung einer »Menschenpflichten«-Erklärung hat man sich aber rasch auf den Begriff Responsibilities geeinigt. Und ich hätte im Grunde am liebsten auch im Deutschen den Begriff »Pflichten« durch den Begriff Verantwortlichkeiten ersetzt. Aber »Verantwortlichkeiten« wird im Deutschen bisher nur in einem administrativen und organisatorischen Sinn verwendet. Im Nachhinein allerdings denke ich, dass ich ruhig »Verantwortlichkeiten« als Plural im ethischen Sinn hätte aufnehmen können. Heutzutage spreche ich lieber von einer »Erklärung der Verantwortlichkeiten« als nur der »Pflichten«.
Schwierig zu beantworten ist für mich die Frage: Durch welche Organisation soll eine solche Erklärung der Welt kundgetan werden? Das will gut überlegt sein. Drei Türen stehen mir offen: Da ist in erster Linie das WEF, das World Economic Forum. Sein Gründer und Präsident, Prof. KLAUS SCHWAB , hatte mir schon früh eine großartige Plattform geboten, auf der ich meine Ideen hatte verbreiten können. Auch hat er sich in der Folge stark für den Religionsdialog eingesetzt und im früheren Erzbischof von Canterbury, Dr. GEORGE CAREY , mit dem ich seit Langem befreundet bin, einen ausgezeichneten Moderator gefunden. Aber die prominenten Religionsvertreter redeten einer nach dem anderen zumeist vage ohne jede Selbstkritik vom Friedenswillen ihrer eigenen Religion. Und würde denn unsere »Erklärung der Verantwortlichkeiten« in der Öffentlichkeit gut aufgenommen, wenn sie gerade vom Forum prominenter Vertreter der Wirtschafts- und Finanzwelt, die unter zunehmender Kritik steht, proklamiert werden würde? Doch ob der von mir stets hoch geschätzte Klaus Schwab für meine Zweifel Verständnis hat?
Die zweite Tür ist die UNESCO: Immerhin hatten wir 1989 im Pariser Hauptquartier jenes erste Symposion von Religionsvertretern über Religionsfrieden als Voraussetzung für Weltfrieden erfolgreich durchgeführt; ich habe davon berichtet. Aber das folgende Universal Ethic Project der UNESCO 1997, an dem ich teilnehme, hatte sich schwierig gestaltet. Dabei waren die Voraussetzungen für den Dialog durchaus nicht schlecht. Denn für das erste Treffen in Paris im März 1997 hatte der Stab der UNESCO-Sektion für Philosophie und Ethik unter seinem Direktor Professor YERSU KIM einen sehr nützlichen »State of the Art Report« erstellt, der sowohl die philosophischen Bemühungen wie vor allem auch die Bemühungen des Parlaments der Weltreligionen und des InterAction Council gut zur Geltung brachte. Man musste jetzt jedenfalls darüber diskutieren. 18
Die eigentliche Auseinandersetzung in Paris aber findet mit Philosophen wie KARL-OTTO APEL statt, der zunächst keine vernünftige Alternative zu seinem philosophischen Verfahren des argumentativen Diskurses zugestehen will, der selber rein formal und prozedural vorgeht und keine materialen Normen für konkrete Situationen menschlicher Interaktion vorsieht. Dagegen vertrete ich die Auffassung, dass konkrete und universale bzw. universalisierbare Normen empirisch konstatiert werden können, die vernünftig, aber nicht ausschließlich vernunftzentriert sind. Ich will also im Gegensatz zu Apel auf die Traditionen der Kulturen und Religionen zurückgreifen und von dort her die Dialogmöglichkeit zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen wahrnehmen. Kurz, ich sehe es als möglich an, die gemeinsamen Werte unterschiedlich zu begründen, und sehe trotz aller Bedenken die Möglichkeit einer rein rationalen Begründung, wie sie Apel vorschwebte, als berechtigt an. Erst mit der Zeit realisiert Apel, dass meine Bedenken nicht der philosophischen Argumentation als solcher gelten, sondern dass sowohl die philosophische wie die religionswissenschaftliche Begründung eines gemeinsamen Weltethos zugelassen werden sollten.
Ich sehe mich unterstützt durch die Ausführungen des amerikanischen Philosophen MICHAEL WALZER , der auf allgemeine Werte wie »Wahrhaftigkeit« oder »Gerechtigkeit« hinweist, wie sie sich auf Demonstrationen etwa in Prag oder Peking manifestieren. Dort hätten alle spontan verstanden, was mit diesen großen Begriffen konkret gemeint ist.
Am besten verstehe ich mich mit der Harvard-Professorin SISSELA BOK . Sie stimmt mit mir überein, dass es gemeinsame Werte in verschiedenen Nationen, Völkern und Religionen gibt, die als Basis für Dialog und Zusammenarbeit angesichts der ungeheuren Herausforderungen und Bedrohung der
Weitere Kostenlose Bücher