Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
leicht reden, nicht im Traum haben Sie je daran gedacht zu beichten.«
Helmut Schmidts Abwahl durch ein Misstrauensvotum im Bundestag am 1. Oktober 1982 bedauere ich sehr, wenngleich ich manche vor allem wirtschaftspolitischen Argumente der Opposition für gerechtfertigt ansehe. Bundeskanzler HELMUT KOHL , dem ich aufgrund seiner reformerischen Haltung in der Kirche wohlgesinnt bin (vgl. Bd. 2, Kap. VII: Der kommende Bundeskanzler: Helmut Kohl), enttäuscht mich schon von Anfang an, da er die langen Jahre in der Opposition nicht genutzt hatte, um ein schlüssiges Aktionsprogramm für seine Politik ausarbeiten zu lassen. Auch schmiegt er sich in seiner Politik allzu sehr an die katholische Hierarchie an, ohne sich bei seiner »geistig-moralischen Wende« für die globalen Aspekte von Religion zu interessieren.
Helmut Schmidt aber hatte sich schon als Bundeskanzler mit den Religionen auseinandergesetzt. Vor allem eine persönliche Begegnung und ein Gedankenaustausch mit dem ägyptischen Präsidenten ANWAR AS-SADAT bei einer Nachtfahrt auf dem Nil hatte ihn auf den Gedanken einer »abrahamischen Ökumene« gebracht. Sadat hoffte auf eine große friedliche Begegnung von Judentum, Christentum und Islam, die gegründet ist in den Gemeinsamkeiten des Glaubens an einen Gott Abrahams.
Hier treffen sich in der Tat die Bemühungen im InterAction Council früherer Staats- und Regierungschefs, den Helmut Schmidt präsidiert, mit meinen eigenen Bemühungen um ein Weltethos. Voraussetzung in beiden Fällen ist eine Verantwortungsethik im Sinne Max Webers, welche die Konsequenzen jeglicher sittlichen Entscheidung von vornherein mitbedenkt.
Als Vorsitzender des InterAction Council macht Helmut Schmidt sich daran, die Beschäftigung mit interreligiösen und global-ethischen Fragen einzubringen und an Religionsdialog und Religionsfrieden orientierte Bemühungen voranzutreiben. Im November 1995 führt er mit mir ein längeres Telefongespräch und schreibt anschließend einen ausführlichen Brief, in dem er allgemein über die Arbeit des InterAction Council berichtet und zwei Expertentreffen im Frühjahr 1996 ankündigt. Die Frage nach gemeinsamen »Human Values« sollte dabei im Zentrum stehen. Helmut Schmidt bittet mich dann um die Mitarbeit sowie um einen Vorschlag für den Titel des Expertentreffens und um Benennung hervorragender Vertreter von Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Am Ende des Briefes betont er, dass die Vorhaben des InterAction Council im Rahmen meiner eigenen Arbeit und Zielsetzung lägen, »ein gemeinsames Weltethos in das Bewusstsein der verschiedenen Kulturen zu heben«.
Für mich eine hochwillkommene Einladung, die ich selbstverständlich gerne annehme. Ich schlage ihm namhafte Vertreter verschiedener Religionen vor und als Titel für das anstehende Expertentreffen »In Search of a Global Ethic«. Als ergänzende Unterthemen könnten zwei Leitfragen angebracht werden: »What are moral standards for the entire Humanity?« und »What are trust- and peacebuilding measures between the World Religions?«.
Das erste Expertentreffen des InterAction Council in Wien vom 22. bis 24. März 1996 mit dem Titel »Auf der Suche nach globalen ethischen Standards« endet erfolgreich: In einem umfangreichen Report wird das Weltethos voll bejaht und zugleich eine Erklärung der Menschenpflichten, zur Unterstützung der UN-Erklärung der Menschenrechte, angeregt. Damit scheint mir nun die Türe offen zu stehen, um meinen konkreten Entwurf einer Pflichtenerklärung in die Diskussion einzubringen. Vor dem zweiten Expertentreffen in Wien vom 20. bis 22. April 1997, an welchem neben Experten auch die früheren Premierminister von Kanada und Holland, PIERRE TRUDEAU und ANDRIES VAN AGT , teilnehmen sollten, schreibe ich am 31. März 1997 an Helmut Schmidt: »Seit langem habe ich mir die Frage überlegt, wie die Erklärung des Parlaments der Religionen sozusagen in UNO-Sprache übersetzt werden könnte: kurz, mehr juristisch formuliert, säkular ohne bestimmte religiöse Begründung, aber doch allgemein überzeugend. Meinen ersten Entwurf einer › Universal Declaration of Human Responsibilities ‹ der nicht sehr glücklich zusammengesetzten UNESCO-Kommission vorzulegen, schien mir zu gewagt … Es schiene mir außerordentlich hilfreich zu sein, wenn Staatsmänner von Ihrem und Ihrer Kollegen Format und Erfahrung diesen allerersten Entwurf einer Erklärung diskutieren und mit Kommentaren
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