Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
versehen würden.«
Ich bin sehr gespannt auf die Antwort aus Hamburg und hocherfreut, dass sie positiv ausfällt. Den langen komplexen Entstehungsprozess der Pflichtenerklärung kann ich hier nicht schildern. 19 Das Entscheidende: Nach einer höchst kontroversen, dramatischen Diskussion, bei der vor allem Jimmy Carter und Malcolm Fraser gewichtige Einwände vorbringen, die von Thomas Axworthy und mir beantwortet werden können, kommt es in der Vollversammlung des InterAction Council am 3. Juni 1997 in Noordwijk/Niederlande schließlich doch zur grundsätzlichen Annahme dieser Pflichtenerklärung. 20 Nach einem weiteren Verbesserungs- und Redaktionsprozess wird die Erklärung vom neuen Vorsitzenden MALCOLM FRASER am 1. September 1997 veröffentlicht. Gleichzeitig wird sie an UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie an die nationalen Regierungen in aller Welt geschickt. Es ist zu betonen, dass diese Erklärung selbstverständlich keine Konkurrenz zur Menschenrechtserklärung sein soll und sie auch nicht relativieren will, wie Kritiker sofort einwenden, sondern im Gegenteil die Menschenrechtserklärung vom Ethos her unterstützen soll. Der Text der Erklärung findet sich in einer Vielzahl von Sprachen auf der Website des InterAction Council: www.interactioncouncil.org.
Für seinen beständigen, klugen und nachhaltigen Einsatz für diese Erklärung von Anfang bis Ende bin ich Helmut Schmidt bis auf den heutigen Tag dankbar. Dankbar aber auch KEIKO ATSUMI (Tokio), frühere Mitarbeiterin von Premierminister Yasuo Fukuda und Leiterin des ständigen Sekretariats des InterAction Council in Tokio, sowie den beiden anderen akademischen Beratern: Professor KYONG-DONG KIM , Seoul National University, und vor allem dem außerordentlich kenntnisreichen und sprachmächtigen Professor THOMAS AXWORTHY , früherer Assistent des kanadischen Premierministers Trudeau, der bei der Sitzung in Noordwijk selbst anwesend ist. Axworthy leistet mir bei der Überarbeitung und englischen Formulierung des Vorschlags der Erklärung unschätzbare Dienste. Er erwirbt sich in der Folge das Vertrauen aller Mitglieder des InterAction Council, sodass er 2011 zum Generalsekretär des IAC gewählt wird. In der Folge bemühte ich mich verschiedentlich, für die Erklärung der menschlichen Verantwortlichkeiten zu werben. Wichtig dabei vor allem ein weiterer Vortrag am 10. Februar 1999 bei den Vereinten Nationen in New York: »Human Responsibilities for Human Rights – The Challenge«.
Der erste Weltethos-Redner: Tony Blair
Das neue, dritte Jahrtausend nach Christi Geburt wird auf der ganzen Welt von Australien bis Europa mit großem Feuerwerk enthusiastisch begrüßt. Überall hoffen die Menschen am Jahresbeginn 2000 auf ein Jahrtausend oder jedenfalls ein Jahrhundert des Friedens und des Wohlergehens. Ich selber möchte mich in der Stiftung Weltethos mit neuen Projekten und neuen Köpfen für das neue Paradigma von Weltpolitik und Weltwirtschaft einsetzen. Die Stiftung beschließt deshalb an der Universität Tübingen eine regelmäßige Reihe von großen Reden zum Weltethos, gehalten von bedeutenden Persönlichkeiten, die sich auszeichnen durch hervorragende Leistungen in ihrem Fach, ferner durch internationales Prestige und schließlich durch moralische Integrität. Drei Eigenschaften, nicht leicht zu finden in ein und derselben Person. Keine Heiligen müssen die Redner sein, aber echte, glaubwürdige Führungspersonen .
Ein Repräsentant dieses neuen Paradigmas der Politik scheint mir der junge Premierminister Großbritanniens, TONY BLAIR , zu sein. Deshalb steht er als Redner für die geplanten alljährlichen Weltethos-Reden an erster Stelle. Doch als ich dies in einer kleinen Pressekonferenz des Tübinger SWR-Studios ankündige, stoße ich auf ungläubiges Staunen. Warum sollte denn der Premierminister von Großbritannien gerade in unsere kleine Universitätsstadt kommen?
Mir imponiert die Politik des neuen Labour-Premiers, weil er entschieden angeht gegen die neokapitalistische Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner konservativen Vorgänger, der »Eisernen Lady« MARGARET THATCHER und von JOHN MAJOR . Aber er ist klug genug, bestimmte politische Errungenschaften Thatchers (etwa die Eindämmung der übermäßigen Macht der britischen Gewerkschaften) nicht rückgängig zu machen. Er bietet mit seinem »dritten Weg« den Bürgerinnen und Bürgern eine hoffnungsvolle Vision an, die Großbritannien eine neue Zukunft geben sollte.
Aber wie kommt Tony
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