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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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hatten.
    In Kapstadt wird vom Parlament der Weltreligionen ein sehr hilfreiches Dokument unter dem Titel A Call to our Guiding Institutions veröffentlicht, welches die Weltethos-Erklärung von 1993 auf die verschiedenen Bereiche des Lebens und der Gesellschaft anwendet. Ich habe auch an den folgenden Parlamenten der Weltreligionen teilgenommen: in Barcelona (2004) und in Melbourne (2009). In Melbourne kann ich das von uns ausgearbeitete Manifest für ein Globales Wirtschaftsethos vorstellen.
    Aber wichtiger wird für mich die Mitarbeit in der von Kofi Annan zusammengerufenen Expertengruppe. In diesem Kreis von Männern und Frauen aus allen Kontinenten und unterschiedlichen Bereichen (Wissenschaft, Kultur, Politik …) ist Deutschland durch RICHARD VON WEIZSÄCKER vertreten, die Schweiz durch mich. 21 Der Altbundespräsident erwirbt sich rasch durch seine überraschende Lockerheit (»just call me Richard!«) und durch seine kluge politische Argumentation die Sympathie und Achtung des Gremiums. Ich kann mich freuen über seine anerkennenden Worte, wie ich doch fähig sei, gleichzeitig mit Chinesen und Arabern wie mit Christen und Säkularen kompetent zu diskutieren.
    Unsere Gruppe trifft sich viermal: am 13./14. Dezember 2000 in Wien, am 30./31. Mai 2001 in Dublin, am 5./6. September 2001 zur Schlussredaktion des Manifests in Doha im Emirat Katar, und später zur Vorstellung des Manifests in New York am Sitz der UNO. Nicht ein langweiliges »Expertengutachten« oder ein meist uneinheitlicher »Sammelband« verschiedener Autoren wird von uns erwartet, sondern eine von allen gemeinsam vertretene, realistisch begründete »Vision« in Form eines breit angelegten »Manifests«. Rasch setzt sich die Einsicht durch, dass gemeinsame, kulturübergreifende Werte Grundlage sein müssen für Dialog und Verständigung und auch für ein neues Paradigma internationaler Beziehungen. So gipfelt unser Manifest schließlich in einer Darlegung der Notwendigkeit eines gemeinsamen Menschheits- oder Weltethos (»Global Ethic«). Unter dem Gesichtspunkt der »Versöhnung« (gegen den »Zusammenprall der Kulturen«) werden neben der Goldenen Regel und dem Prinzip Menschlichkeit jene »vier unverrückbaren Weisungen« des Parlaments der Weltreligionen in Erinnerung gerufen: Frieden und Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Partnerschaft von Mann und Frau. Dieses Manifest mit dem Titel » Crossing the Divide« (deutsch: »Brücken in die Zukunft«, Frankfurt/M. 2001) schließt mit einem Kapitel zum Thema »Von den Vereinten Nationen zu einem Weltethos«.
    Beinahe hätte ich am Abend des 4. September 2001 den Flug von München nach Doha in Katar verpasst. Unser Auto bleibt wegen Reparaturarbeiten auf der Autobahn vor dem großen Tunnel der Schwäbischen Alb mehr als eine Stunde im Stau stecken, und nur meinem ausgezeichneten Taxifahrer DZEMAIL TOPUZ (Nachfolger des viel zu früh verstorbenen Schwaben Hans Aichele) habe ich es zu verdanken, dass er mich in toller Fahrt mit bis zu 220 Stundenkilometern durch die Nacht zum Flughafen fährt, wo ich wenige Minuten vor dem Abflug noch einchecken kann.
    In Doha, Katars Hauptstadt, werden wir sehr nobel behandelt: schönes Hotel und zugleich Tagungsort direkt am Golf, das Meer sehr warm, allerdings zum Schwimmen nicht erfrischend. Unsere Delegation wird vom Emir Scheich HAMAD BIN CHALIFA AL-THANI in seinem modernen wunderbaren weißen Palast empfangen, und auch ich habe Gelegenheit, mit ihm einige Sätze über den Dialog der Religionen zu wechseln. Der relativ liberale Emir hält jedenfalls seine Hand über den auf seinem Territorium stationierten kritischen Nachrichtensender al-Dschasira, beherbergt allerdings auch das Hauptquartier der US-Truppen im Nahen Osten. Am ersten Abend ein Staatsbankett, am zweiten ein Abendessen mit arabischer Folklore und stets liebenswürdigen Gastgebern.
    Am Rande der Diskussionen unserer Arbeitsgruppe taucht die Frage auf, ob es eine unverwundbare Nation gebe. Einige halten die USA aufgrund ihrer geographischen Lage und wirtschaftlichen und militärischen Macht für unverwundbar. Ich bin mit anderen der Meinung, dass auch die USA verwundbar seien, denke dabei aber eher an einen möglichen Börsencrash. Ich kann nicht ahnen, was sich fünf Tage später abspielen wird …
    Ein Schreckenstag mit weitreichenden Folgen
    Schon am 6.   September 2001 fliege ich wieder zurück nach Deutschland. Am 11. September nachmittags sitze ich an meinem Schreibtisch,

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