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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Kampf gegen das Böse in der ganzen Welt meint gewinnen zu können, sich selbstgerecht zum ewigen Krieg verdammt und daß auch eine Supermacht erfolgreiche Politik nur dann betreiben kann, wenn sie nicht selbstherrlich unilateral handelt, sondern echte Partner und Freunde, nicht Satelliten, hat.« Und so weiter.
    Zwei oder drei Personen verlassen, offensichtlich verstimmt, den Saal, und ich bin gefasst auf heftige Kritik – stattdessen »Standing Ovations«. Sowohl in der Fragerunde wie beim anschließenden Bankett viel Zustimmung. Bei meinen Gesprächen am Rande kann ich freilich nicht verhehlen, dass ich mich dieses Mal in den Vereinigten Staaten deutlich weniger wohlfühle als früher: bis zum Überdruss auf allen Gebäuden und Autos die »Stars and Stripes« und auf TV-Kanälen wie Fox ständig die Rede von »War, war, war« und die Phantasmagorie eines »American Empire«, das sogar zwei große Kriege gleichzeitig führen könne. Ob sich die USA allmählich vom nationalen Trauma des 11. September 2001 erholen und den Sicherheitswahn überwinden werden?
    Ich war und bin überzeugt, der Krieg in Afghanistan war unnötig. Er hinterlässt eine bleibende Instabilität. Die Alliierten sollen zwar nach 13 Jahren 2014 abziehen, aber die Hoffnung, die Taliban, die Kriegsherren und Drogenhändler zu bändigen, ist gering. Nötig sind jedenfalls Verhandlungen mit den afghanischen Stammesfürsten und den gemäßigten Taliban und zugleich ein Arrangement mit den großen Nachbarmächten Pakistan, China und Indien.
    Trotz der Warnungen aus der ganzen Welt setzt damals Präsident GEORGE W. BUSH seine aggressive Interventions- und Kriegspolitik fort; sie wird inspiriert von säkularistisch-jüdischen Neokonservativen (»neocons«) und unterstützt von fundamentalistischen Protestanten (»theocons«). Am 20.   März 2003 – wir feiern am Vorabend im Haus meinen 75. Geburtstag – startet er die Invasion des Irak . Diese ist auf monströse Lügen gebaut und wird wider internationales Recht und trotz Bushs evangelikalem Pathos auch im Widerspruch zur christlichen Ethik geführt.
    Der Krieg lässt den Irak in politischer Instabilität, wirtschaftlicher Notlage, sozialem Elend und religiöser Zersplitterung zurück. Die Lösung kann auch nach dem Abzug der US-Truppen nicht eine ständige amerikanische Präsenz in diesem Land sein, sondern nur die in all den Jahren versäumte Verständigung zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen säkularistischen und islamistischen Schiiten und natürlich auch mit den Kurden.
    Uns in der Stiftung Weltethos hat vor allem enttäuscht, dass unser erster Weltethos-Redner, Premierminister TONY BLAIR , sich bei diesem Irak-Abenteuer als treuester Vasall der Bush-Administration erweist. Ich schreibe Tony Blair am 12. Februar 2003 in einem persönlichen Brief: »Als christlicher Theologe, der seit jeher für eine verantwortliche realistische internationale Politik eintritt (nicht für eine reine ›Realpolitik‹), muss ich Ihnen sagen, dass ich eine Invasion des Irak für absolut unvertretbar halte – ob mit oder ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrats. Offen gesagt, konnten Sie selbst Ihr eigenes Volk nicht davon überzeugen … Ich habe Sie, lieber Freund, immer für einen Vertreter des neuen Paradigmas der internationalen Beziehungen gehalten, welches militärische Konfrontation durch wirtschaftlichen Wettbewerb, gegenseitige Verständigung, Versöhnung und Integration ersetzt. Wir sollten den Kampf um Öl, Macht und Hegemonie im Mittleren Osten nicht verkleiden als ›moralische‹ Verpflichtung zum Kampf gegen das Böse und zur Förderung von Freiheit und Demokratie.«
    Tony Blair antwortet umgehend mit einem kurzen, aber freundlichen Handschreiben. Für seine Irakpolitik führt er zwei Gründe an: Erstens bildeten Massenvernichtungswaffen in den Händen unstabiler Staaten und internationaler Terrorismus eine echte Bedrohung für unsere Sicherheit. Und zweitens sei SADDAM HUSSEIN ein brutaler Diktator, der keinesfalls auf eine andere Weise abrüsten werde, wir sollten keine Hemmungen haben, ihn abzusetzen. Sein Brief endet mit dem Satz: »Dear Hans, selbst wenn wir nicht einer Meinung sind, versuchen Sie bitte zu verstehen, dass ich aus Überzeugung handle und nicht aus blindem Gehorsam gegenüber den Vereinigten Staaten.« Und der Gruß: »My very best wishes and affection to you. Yours ever, Tony.«
    Mit Wehmut denke ich zurück an die schöne persönliche Beziehung, die aufgrund von Tony

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