Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Blairs Mitwirkung am Irakkrieg Schaden nimmt. Eine Tragödie für einen so begabten und anfangs so glaubwürdigen Politiker. Aber Tony ist zutiefst der Überzeugung, er wisse als Staatsmann besser als das Volk, was für das Volk gut ist: deshalb seine fatalen Fehlentscheide einerseits für den Irakkrieg, andererseits für die weitgehende Deregulierung der Finanzmärkte. Letztlich hat ihn der Irakkrieg das Regierungsamt gekostet und zugleich sein ursprünglich großes Ansehen in der Welt zerstört. Für die neu übernommene Aufgabe als Sondergesandter des Nahost-Quartetts ist er aufgrund seiner Parteilichkeit von vornherein ungeeignet. Wieweit die von ihm gegründete »Tony Blair Faith Foundation« erfolgreich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Bei mir hat auch seine nachträgliche Konversion zur katholischen Kirche ambivalente Gefühle hinterlassen, weil nicht klar war, ob er so umstrittene und von den Anglikanern mit Recht nie akzeptierte Dogmen wie das der päpstlichen Unfehlbarkeit annahm. Wie das alles enden wird?
In dieser dramatischen Weltlage stellte sich für unsere Stiftung Weltethos mit neuer Dringlichkeit die Frage nach der ethischen Dimension internationaler Beziehungen. Das alte konfrontative Paradigma von Weltpolitik scheint über das neue Paradigma der Verständigung und Kooperation zu triumphieren. Zusammen mit dem bekannten Friedensforscher DIETER SENGHAAS , Professor für Internationale Politik und für Interkulturelle und Internationale Studien an der Universität Bremen, organisieren wir vom 26. bis 28. September 2002 in Tübingen ein hochkarätiges wissenschaftliches Symposion mit führenden Politikwissenschaftlern, Philosophen und Ethikern unter dem Titel »Friedenspolitik – ethische Grundlagen internationaler Beziehungen«. 24
Von Dieter Senghaas und anderen kundigen Spezialisten wird zuerst eine Lagebeurteilung der Welt gegeben. Dann wird die Frage einer tragfähigen Weltordnungsstruktur diskutiert, und schließlich konzentrieren sich die Referenten noch auf einige Fallbeispiele aus Afrika und Lateinamerika, wo sich die Konflikte besonders zuspitzen. Ergebnis des Symposions: Es gibt die Möglichkeit einer internationalen, auf gemeinsamen Werten und Maßstäben gegründeten Friedenspolitik, die Krieg als Option der Weltpolitik ausschließen kann. Die Beiträge des Symposions sind veröffentlicht im Band: »Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen«, hrsg. von H. Küng und D. Senghaas (München 2003). Ich selber liefere das Einleitungsreferat zur Problemstellung »Weltpolitik und Weltethos«, in welchem ich auch meine vielleicht für manche allzu kühn klingenden Aussagen zum Irakkrieg aus amerikanischen Quellen gründlich belege.
Weltpolitische Themen treten natürlich auch in den folgenden Weltethos-Reden immer wieder in den Vordergrund. Die Zweite Weltethos-Rede hält am 21. Januar 2002 die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, MARY ROBINSON . Ich hatte sie schon zuvor kennengelernt als Staatspräsidentin von Irland. Sie hält eine glänzende Rede über »Ethik, Menschenrechte und Globalisierung«, die es verdient, im Rahmen der Problematik »Weltrecht – Weltethos« genau studiert zu werden. 25 Ich frage Mary, ob sie es für sinnvoll ansehe, dass ich als nächsten Weltethos-Redner UN-Generalsekretär Kofi Annan einlade und dies auch mit meinem 75. Geburtstag am 19. März 2003 begründe. Sie meinte, dass man oft solche Einladungen gerne annehme, wenn ein persönlicher Anlass dahinter stehe.
Kofi Annan in Tübingen
Am 27. Februar 2002 gibt Bundespräsident JOHANNES RAU im Schloss Bellevue einen Empfang für Kofi Annan, wozu ich eingeladen bin. Ich nütze die Gelegenheit und spreche zuerst mit Kofis liebenswürdiger schwedischer Frau NANE ANNAN über meinen »Geburtstagswunsch«. Sie sagt: »Gehen wir doch zu ihm und fragen ihn direkt.« Kofi Annan zeigt sich über diese Anfrage erfreut und bittet mich, ich möge seinem Büro das genaue Datum mitteilen. Da nehme ich meine Visitenkarte aus der Tasche, auf der ich deutlich »19. März 1928« vermerkt habe. Wir lachen beide, offensichtlich verstehen wir uns.
Am späteren Abend, als sich der Ehrengast zurückgezogen hat, lädt Bundespräsident Rau seinen Vorgänger RICHARD VON WEIZSÄCKER , Altkanzler HELMUT SCHMIDT und mich zu einem »Salongespräch« im engsten Kreis ein. Erstaunlicherweise ist darüber bald eine kurze Glosse in der »Welt am Sonntag« (3. 3. 2002) zu lesen: »Frei von Kameras
Weitere Kostenlose Bücher