Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Kirchensteuer.
1981 kehrt der Kirchenrechtler seiner Kirche den Rücken und wird Professor für Soziologie. Im Streit um den neuen Erzbischof von Köln 1989 (Nachfolger Kardinal Höffners), wo Johannes Paul II. das verbriefte Wahlrecht des Kölner Domkapitels glatt überspielt zugunsten seines Favoriten, des notorisch reaktionären Kardinal Meisner, sieht Horst Herrmann eine Verletzung des Konkordats durch den Vatikan.
Nun habe ich ja in »Umstrittene Wahrheit« (Kap. XII: Kirchenfromme Staatskirchenrechtler) von der missbräuchlichen Handhabung der konkordatären Bestimmungen berichtet. Im Fall eines Prozesses vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hätte ich in aller Öffentlichkeit sicher auch das bald nach der »Machtergreifung« mit Hitler abgeschlossene »Reichskonkordat« infrage gestellt. Aber ein Jahrzehnt nach dem »Fall Küng« müsste gerade der Kirchenrechtler Herrmann sich darüber im Klaren sein, dass das bestehende Verhältnis von Staat und Kirche von keiner der beiden großen Parteien angetastet wird. Und was die Abschaffung der Kirchensteuer betrifft, so muss man ja auch an unsere Seelsorger denken. Die ärmlichen Verhältnisse, in denen diese bei der vollständigen Trennung von Kirche und Staat etwa in Frankreich leben, sind auch kein Ideal. Selbst das amerikanische System völliger Freiwilligkeit hat seine Nachteile, insbesondere die Abhängigkeit von bestimmten Geldgebern.
Herrmann ist nicht der Erste. Manche Anliegen zur Staat-Kirche-Problematik werden schon vorher vom Wiener Theologen HUBERTUS MYNAREK (geb. 1929) vertreten. Er hatte mich nach 1968 um Unterstützung für seine Bewerbung auf einen Lehrstuhl der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen gebeten, wird aber nicht an die erste Stelle gesetzt. Im Jahr 1972 verfasst er einen Offenen Brief an Papst Paul VI., in welchem er die Aufhebung des Zölibats und die Demokratisierung der Kirche fordert. Im selben Jahr tritt er aus der Kirche aus und heiratet. Woraufhin die Kirche ihm die Lehrbefugnis entzieht und der österreichische Staat ihn zwangspensioniert. 1978 veröffentlicht er das Buch »Eros und Klerus. Vom Elend des Zölibats«. In den darauffolgenden Jahrzehnten geht er sowohl politisch wie religiös sehr verschlungene Pfade; noch 2009 kandidiert er in Bad Sobernheim für Die Linke bei einer Kommunalwahl. Ihm war mein Verbleiben in der katholischen Kirche ein ständiger Stachel, da er überzeugt war, dass eine Reform der Kirche von unten nicht möglich ist. Insofern hat es mich nicht überrascht, dass er im Jahre 2012 auf mein Buch »Ist die Kirche noch zu retten?« ein Gegenbuch veröffentlicht hat unter dem Titel »Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann. Eine Analyse seiner Irrtümer« (Marburg 2012). Irrtümer hat er kaum nachgewiesen, nur interpretiert er die ganze Entwicklung anders.
In der Sache scheint mir Folgendes realistischer: nicht die vollständige Trennung von Staat und Kirche, wie Herrmann und Mynarek sie fordern, sondern nach guter Vorbereitung die Einführung des Schweizer Systems auch in Deutschland. In der Schweiz gehen Steuern statt an den (finanziell dominanten) Bischof an die jeweilige Kirch- oder Stadtgemeinde vor Ort, die über die Höhe der Steuer selber befinden kann, in jedem Fall aber einen bestimmten Prozentsatz an den Bischof abführen muss. Das wäre angewandtes Subsidiaritätsprinzip, auf das man ansonsten innerkirchlich mit Recht stolz ist. Aber in der jetzt entstandenen Debatte ist die Atmosphäre wenig günstig für solche Reformvorschläge. Es gibt ja auch noch andere kontroverse Fragen.
Der zweite Konfliktfall ist der um EUGEN DREWERMANN : Schon vor vielen Jahrzehnten hatte ich mich als Student der Philosophie eingehend mit meinem Landsmann Carl Gustav Jung beschäftigt, der zu Freuds großem Konkurrenten in der Psychotherapie wurde, mit Religion mehr anzufangen wusste als Freud und sich gerade auch mit den christlichen Glaubenssymbolen beschäftigte. Beispiel Jungfrauengeburt: das Bild vom göttlichen, heilenden, rettenden Kind als ein Archetyp, ein Urmuster der Seele. So kann ich nur zustimmen, als der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann, seit 1979 Privatdozent in Paderborn, die biblischen Erzählungen und besonders die Kindheitsgeschichte Jesu auf der Linie Jungs mithilfe der Tiefenpsychologie und der Religionsgeschichte manchen Zeitgenossen verständlicher zu machen versucht, um ihnen von Angst und Verzweiflung zum Vertrauen und zur Selbstfindung zu
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