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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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verhelfen.
    Ich war ja selber auch schon lehramtlich getadelt worden, weil ich in »Christ sein« (1974) den ganzen historisch-kritischen Befund der Bibel bezüglich der Jungfrauengeburt ausgebreitet hatte und diese nicht als historisch-biologisches Ereignis, sondern als zumindest damals sinnträchtiges Symbol aufgefasst habe: Ursprung, Bedeutung und Geschick Jesu lässt sich nicht aus dem innerweltlichen Geschichtsablauf verstehen, sondern soll aus dem Handeln Gottes abgeleitet werden.
    Aber Eugen Drewermann geht weiter mit seiner tiefenpsychologisch inspirierten Bibelauslegung: Im Menschen selber, wenn er nur auf sein eigenes Wesen höre, sei das Wunder der jungfräulichen Geburt begründet; in seiner eigenen Seele finde er die anfangs verachtete, für hurenhaft gehaltene Mutter Jesu, die sich auf die Engelsbotschaft hin am Ende als Madonna zu erkennen gibt. In seiner Seelenlandschaft finde der Mensch Josef, die Magier, Herodes, ja sogar Jesus, den Messias und Gottessohn. Ein jeder Mensch habe vor Gott die Berufung, in sich selber ein »Messias Gottes«, ein »Mann aus Nazaret« zu werden. 10
    Bei solcher vorrangig tiefenpsychologischen Bibelauslegung habe ich nun doch, wiewohl ich grundsätzlich die Ergänzung der historisch-kritischen Methode bejahe, meine Rückfragen: Ist die Bibel in erster Linie Mythos und nicht Geschichte? Darf der Theologe das Geschichtliche der Evangelien als irrelevant vernachlässigen oder gar eliminieren? Vereinnahmt man nicht alle Texte und Personen psychologisch, wenn sie ihr Ureigenes kaum noch sagen dürfen? Mir erscheint in solcher tiefenpsychologischen Auslegung die einmalige und unverwechselbare historische Gestalt Jesu allzu sehr in meine seelische Befindlichkeit hinein absorbiert zu sein: Soll ich mir am Ende selber der »Messias« sein?
    Aber wie auch immer: diese Fragen bedürfen der Diskussion und nicht der Inquisition. Man kann doch nicht übersehen, dass Eugen Drewermann mit seinen Büchern und Vorträgen sehr viele Menschen erreicht und deshalb unsere Solidarität verdient. Seine psychoanalytische Studie »Kleriker. Ein Psychogramm« , schon 1989 veröffentlicht, deckte die offiziell verschwiegenen dunklen Seiten des Zölibats auf, welcher der psychischen Gesundheit der katholischen Priester schadet.
    So beschließt denn die von mir präsidierte Herbert Haag-Stiftung, Eugen Drewermann für das Jahr 1992 den Preis für »Freiheit in der Kirche« zu verleihen, von dem noch die Rede sein wird. An jenem festlichen Abend macht mich Eugen Drewermann (Vegetarier, Pulloverträger, Pazifist) sowohl beim Abendessen in meinem Haus wie dann auch im übervollen Festsaal der Universität Tübingen deutlich auf den Unterschied zu meiner Grundeinstellung aufmerksam: Er glaube nicht mehr an eine Reform der römisch-katholischen Kirche. Und während ich vor der großen Konfrontation 1979/80 stets den »Ernstfall«, in welchem ich meine eigene Haut zu Markte tragen soll, zu vermeiden suchte, scheint sich Drewermann nach einer Art Martyrium beinahe zu sehnen. Ich mache ihn, der mir allzu gewiss auf seine große Popularität zu vertrauen scheint, darauf aufmerksam, dass sich ihm mit dem Tag der kirchlichen Verurteilung zahllose bisher offene Türen in katholischen und evangelischen Institutionen (Gemeinden, Akademien, Vereine … ) schließen werden.
    Und tatsächlich greift die Kirchenleitung bald durch, Schlag auf Schlag: Der zuständige Erzbischof von Paderborn, JOHANNES DEGENHARDT , entzieht Drewermann im Oktober 1991 die kirchliche Lehrbefugnis, im Januar 1992 die Predigtbefugnis, im März 1992 erfolgt die Suspendierung vom priesterlichen Amt – alles wegen von der Kirchenleitung abweichender Ansichten in Fragen der Bibelauslegung und Morallehre. Viele in Deutschland und auch ich sind empört, können ihm aber nicht helfen. Meine Voraussage trifft leider ein, wenngleich Drewermann Lehrbeauftragter an der Universität Paderborn, Schriftsteller, Redner und Psychotherapeut bleibt. Am 20. Juni 2005, an seinem 65. Geburtstag, kündigt Eugen Drewermann schließlich seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche an, die für ihn ein unmenschliches System darstellt. Verständlich, aber für die Reformkräfte wenig hilfreich.
    Es wären noch viele Namen zu nennen. Aber aus meiner Schweizer Heimat möchte ich abschließend doch noch einen besonders hervorheben, den Franziskaner JOSEF IMBACH . Er war Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom

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