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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Verfügung steht« (»Süddeutsche Zeitung« vom 7./8. November 1981). »Chance vertan«: In der Tübinger Fakultät und im Präsidialamt herrscht Betroffenheit, ja Empörung. Die Presse spricht von einem »Scherbenhaufen« und einer »Uni-Posse«, die sich nicht wiederholen dürfe. Ich selber höre vom »Katzenjammer« übers Telefon; ich bin zu dieser Zeit schon längst in Chicago.
    Der Ruf ergeht nun an den Zweitplazierten der Liste: Professor PETER HÜNERMANN aus Münster/Westfalen. Auch gegen ihn hatte ich nichts einzuwenden. Im Collegium Germanicum war er, wie gesagt, mit mir in einem Zirkel für kritisch-konstruktive Theologie, der aber von der Kollegsleitung wegen »häretischer« Tendenzen verboten worden war (vgl. Bd. 1, Kap. III: Ein Versammlungsverbot). Er gilt als »Homo spiritualis«, der sich für Charles de Foucaulds »Kleine Brüder und Schwestern Jesu« einsetzte. Leider entpuppt er sich aber vor allem als »Homo politicus«, der mit der Miene freundlicher Liberalität eine harte römische Linie vertritt und nach meinem Missioentzug beim beunruhigten Klerus und Studenten »klärende« Vorträge für die Position des Lehramtes hält. Er nimmt den Ruf an, und ich heiße ihn freundlich willkommen. Doch verhält er sich in der Folge leider wenig freundschaftlich und versucht unter anderem die Habilitation meines Schülers Kuschel zu verhindern – scheitert aber damit kläglich.
    Hünermann gibt dann 1991 »Denzingers Enchiridion« der kirchlichen Lehrdokumente von 1854 im Dienst von römischer Schultheologie, Herrschaftsmacht und Wahrheitsmonopol neu heraus und dediziert mir zu meinem 65. Geburtstag ein Exemplar »in freundschaftlicher Verbundenheit«. Ich mache Stichproben und bin erstaunt: In dieser 37. Auflage des »Denzinger« wird nicht nur der kompromittierende »Dictatus Papae« Gregors VII. (11. Jh.), des ersten absolutistischen Papstes, unterschlagen, es finden sich auch jene wichtigen kirchlichen Dokumente nicht, welche die exegetisch und historisch unbegründeten absoluten Machtansprüche des römischen Bischofs konterkarieren: so etwa Kanon 28 des ökumenischen Konzils von Chalkedon 451, der einen Primat für die Kirche Konstantinopels als des Zweiten Rom beansprucht, und ebenso das Dekret des Konzils von Konstanz 1414   –   18, welches die Oberhoheit des ökumenischen Konzils in der Kirche auch über den Papst definiert. Für die epochale Figur Gregors VII. zitiert der neue Denzinger/Hünermann nur 17 Zeilen eines Glaubensbekenntnisses, für Johannes Paul II. aber bis 1988 bereits rund 80   Seiten. Auf über zwei Kilogramm ist so die Last des amtlichen römisch-katholischen »Glaubens« angewachsen.
    Ich bewahre Peter Hünermann meinerseits aufgrund unserer sieben gemeinsamen römischen Studienjahre die »freundschaftliche Verbundenheit«, reduziere sie dann aber auf akademische Höflichkeit, als Hünermann auch noch meine anlässlich meines 65. Geburtstags von der gesamten Katholisch-Theologischen Fakultät geforderte Rehabilitation in aller Öffentlichkeit ablehnt. Dass Hünermann sich in Wojtyłas Spätzeit als Reformtheologe zu profilieren sucht und – zwei Jahrzehnte zu spät – eine Reform der Glaubenskongregation fordert, kann mich kaum beeindrucken.
    So beraubt denn mein unfreiwilliges Ausscheiden, zusammen mit dem schon früher erfolgten freiwilligen Ausscheiden des Kirchenrechtlers Johannes Neumann, mit der Emeritierung des Alttestamentlers Herbert Haag und der des Moraltheologen Alfons Auer, die Katholisch-Theologische Fakultät der meisten ihrer prägenden Köpfe. Ich aber kann die Tübinger Ereignisse des Herbstes 1981 ruhig aus der Ferne betrachten, da ich für die Dauer des Wintersemesters eine Gastprofessur an der University of Chicago angenommen und für das Frühjahr eine Studienreise nach Japan und zu weiteren Stationen in Ostasien geplant habe.
    Von den genannten Theologen hat vielleicht keiner so viele Spuren hinterlassen wie mein Tübinger Kollege von der Alttestamentlichen Exegese, HERBERT HAAG . Kreativ und provokativ hat er gewirkt durch seine zahlreichen historisch-kritischen Arbeiten, durch Entmythologisierung der mit der geschlechtlichen Zeugung verquickten »Erbsünde«, den »Abschied vom Teufel« und schließlich durch die Forderung einer am Neuen Testament orientierten Kirchenreform. Bleibende Spuren aber auch durch die von ihm gegründete Stiftung, die seinen Namen für viele in der katholischen Kirche bis heute lebendig erhalten

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