Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
hierarchischen Selbstherrlichkeit (»Antiklerikalismus«) hat bedrohlich zugenommen.
Widerspruch 8 : Dieser Papst sucht zwar das Gespräch mit den Weltreligionen, aber zugleich disqualifiziert er die nichtchristlichen Religionen als defizitäre Formen von Glauben .
Der Papst versammelt bei Reisen oder »Friedensgebeten« gerne Würdenträger anderer Religionen (und Kirchen) um sich und gibt sich volkstümlich. Aber von einem vertieften Eingehen auf deren berechtigte theologische und praktische Anliegen ist wenig zu spüren. Vielmehr versteht er sich auch im Zeichen des Dialogs im Grunde noch als »Missionar« alten Stils.
Folgen : Das Misstrauen gegenüber dem römischen Imperialismus erhielt reichlich Nahrung und ist nach wie vor weit verbreitet. Und dies nicht nur unter den anderen christlichen Kirchen, sondern auch in Judentum und Islam und erst recht in Indien und besonders in China.
Widerspruch 9 : Der Papst aus Polen wirkt als glaubensstarker Repräsentant eines christlichen Europa, aber seine triumphalistischen Auftritte und reaktionäre Politik fördern wider Willen die Kirchenfeindlichkeit, ja Aversion gegen das Christentum.
Die päpstliche Evangelisierungskampagne, in deren Mittelpunkt eine wenig zeitgemäße Sexualmoral stand, diffamierte alle Frauen, die in den umstrittenen Fragen wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Ehescheidung, künstliche Befruchtung usw. anderer Meinung sind, als Förderinnen einer »Kultur des Todes«. Durch politische Interventionen – so etwa in Deutschland gegen Parlament und Episkopat im Fall der Schwangerschaftskonfliktberatung – ließ die römische Kurie erkennen, dass man die rechtliche Trennung von Staat und Kirche wenig respektiert. Ähnlich versuchte der Vatikan (über die Fraktion der Europäischen Volkspartei) auch auf das Europäische Parlament Druck auszuüben, indem er die Bestellung besonders romtreuer Gutachter etwa für Fragen der Abtreibungsgesetzgebung förderte. Statt überall für vernünftige Lösungen in der Mitte einzutreten, stärkte die römische Kurie faktisch weltweit durch ihre Proklamationen und geheime Agitation (über Nuntiaturen, Bischofskonferenzen, »Freunde«) die Polarisierung zwischen Abtreibungsgegnern und Abtreibungsbefürwortern, Moralisten und Libertinisten.
Folgen : Die klerikalistische römische Politik verstärkt die Front dogmatischer Antiklerikaler und fundamentalistischer Atheisten. Sie weckt aber darüber hinaus auch bei anderen Misstrauen gegenüber dem Missbrauch der Religion zu politischen Zwecken. Deshalb im Europäischen Parlament noch mehr Opposition gegen die Nennung Gottes in der europäischen Verfassung und sogar gegen die wünschenswerte Erwähnung der unbestreitbaren christlichen Wurzeln Europas. Im Vatikan fühlt man sich wegen der wachsenden Publizität verbreiteter Missstände im Klerus und vor allem wegen des deutlichen Mangels an wirklicher Kommunikation des Papstes mit der Basis zunehmend in der Defensive und beklagt sich nun groteskerweise seinerseits über »Inquisition«.
Widerspruch 10 : Als charismatischer Kommunikator und Medienstar wirkt dieser Papst bis ins hohe Alter besonders auf die Jugend, aber er stützte sich dabei vor allem auf die »neuen Bewegungen« italienischer Herkunft, das in Spanien beheimatete »Opus Dei« und ein kritikloses papsttreues Publikum – alles symptomatisch für den Umgang des Papstes mit der Laienschaft und seine Gesprächsunfähigkeit gegenüber kritischem Publikum und einzelnen Theologen.
Die unter Aufsicht der Hierarchie von den neuen Laienbewegungen (Focolare, Comunione e Liberazione, St. Egidio, Legionäre Christi, Regnum Christi …) getragenen großen regionalen und internationalen Weltjugendtreffen ziehen Hunderttausende junger Leute an, viele gutwillig, zu viele kritiklos. In Zeiten der Sinnsuche und des Mangels an überzeugenden Leitfiguren suchen sie vor allem den gemeinsamen »Event« und »Johannes Paul Superstar«. Die persönliche Ausstrahlung des Papstes ist ihnen meist wichtiger als die von ihm verkündete Dogmatik und Moral. Die Auswirkungen auf das Gemeindeleben aber sind gering.
Fragen von Jugendlichen an den Papst, die ihn auf seiner ersten Deutschlandreise in arge Verlegenheit gebracht hatten, werden später nirgendwo mehr zugelassen. Für den Weltjugendtag in Köln 2005 wurden schon in der Vorbereitung inhaltliche Auseinandersetzungen durch »ungefährliche« Symbolhandlungen (monatelanges Tragen des »Jugendtagskreuzes« durch die Lande)
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