Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
ersetzt. Mit Mitteln massenpsychologischer Beeinflussung und instrumentalisierten Claqueuren werden die Treffen zu den erwünschten Jubelereignissen. Getreu seinem Wunschbild einer uniformen Gehorsamskirche sieht der Papst die Zukunft der Kirche fast ausschließlich in jenen gut kontrollierbaren konservativen Laienbewegungen. Dazu passt der offensichtliche Vertrauensentzug gegenüber dem konziliar orientierten Jesuitenorden: von den früheren Päpsten bevorzugt, doch in der Ära Wojtyła aufgrund seiner intellektuellen Qualität, kritischen Theologie und befreiungstheologischen Optionen als Sand im Getriebe der päpstlichen Restaurationspolitik empfunden. Stattdessen schenkt Karol Wojtyła schon als Krakauer Erzbischof sein volles Vertrauen dem finanz- und einflussmächtigen, aber undemokratischen und in der Vergangenheit mit faschistischen Regimen kompromittierten Geheimbund »Opus Dei«, vor allem in Finanzwelt, Politik und Publizistik aktiv. Durch einen besonderen Rechtsstatus entzieht er ihn der Aufsicht der Bischöfe.
Folgen: Die oft kritischeren Jugendlichen aus Verbänden und Gemeinden (außer Ministranten) bleiben den großen Treffen meist fern, die nichtorganisierten »Durchschnittskatholiken« ohnehin. Katholische Jugendverbände, die nicht auf römischer Linie liegen, werden auf römisches Geheiß durch Finanzentzug vonseiten der Ortsbischöfe diszipliniert und finanziell ausgehungert. Frühere engagierte Jugendarbeit ist vielfach abgestorben, da Unterstützung in erster Linie den »Bewegungen« zukommt, und die Zahl der früher zahlreichen Jugendkapläne ist wegen des Zölibatsgesetzes und autoritärer Kirchenstrukturen auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Inhaltliche, auch politische Auseinandersetzung ist auf dieser Ebene einer substanzarmen »Eventkultur« gewichen. Durch die wachsende Rolle des erzkonservativen und undurchsichtigen Opus Dei in vielen Einrichtungen ist ein Klima der Unsicherheit und der Verdächtigungen entstanden. Ursprünglich kritische Bischöfe und Kardinäle schmiegen sich dem Opus Dei an, während früher engagierte Laien sich resigniert zurückziehen.
Widerspruch 11 : Johannes Paul II. ringt sich im Jahre 2000 zu einem öffentlichen Sündenbekenntnis für Verfehlungen der Kirche in der Vergangenheit durch, doch hat er daraus kaum praktische Konsequenzen gezogen .
Das barock-bombastisch in St. Peter mit Kardinälen liturgisch inszenierte Schuldbekenntnis für die kirchlichen Verfehlungen bleibt vage, unspezifisch und doppelbödig. Nur für die Verfehlungen der »Söhne und Töchter der Kirche« bittet der Papst um Vergebung, nicht für die der »heiligen Väter«, der »Kirche selbst« und der anwesenden Hierarchen. Der Papst bezieht nie Stellung zur Verwicklung von Kurienstellen in mafiöse Geschäfte und trägt mehr zur Verschleierung als zur Aufdeckung von Skandalen und Verbrechen bei (Vatikanbank, Banco Ambrosiano, »Selbstmord« Calvis, Behinderung der Justiz im Fall des Vatikanbankiers Marcinkus, Morde in der Schweizer Garde …). Auch im Aufdecken der Pädophilie-Skandale von Klerikern ist der Vatikan außerordentlich zögerlich. Trotz mancher Bitten empfängt der Papst keine Opfer. Vielmehr überhäuft er einen prominenten Täter (angeklagt von prominenten Opfern) in einer großen Zeremonie im Vatikan mit Lob: den Mexikaner P. MARCIAL MACIEL DEGOLLADO , lasterhafter Gründer der Legionäre Christi (500 Priester und 2000 Seminaristen) und der Laienbewegung Regnum Christi, mittlerweile die noch konservativere Konkurrentin des Opus Dei. Maciels zwei mexikanische Geliebte finanzierten zu einem Gutteil des Papstes überraschend zahlreiche mexikanische »Pilgerreisen«. 3
Folgen : Das halbherzige päpstliche Schuldbekenntnis hat keine Folgen: keine Umkehr, keine Taten, nur Worte. Dass das (schließlich von diesem nur widerwillig akzeptierte) Schuldbekenntnis des Großinquisitors Ratzinger nicht zur Abschaffung der Inquisition führt, fällt schon gar niemandem auf. Es bleibt dabei: Statt nach dem Kompass des Evangeliums, der angesichts der gegenwärtigen Fehlentwicklungen in Richtung Freiheit, Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit weist, richtet man sich im Vatikan noch immer nach dem mittelalterlichen Recht, das statt einer Frohbotschaft eine anachronistische Drohbotschaft mit Dekreten, Katechismen und Sanktionen bietet. In allen umstrittenen Lehrfragen bleibt das Lehramt unbelehrbar. Dies hat Auswirkungen.
Katholisch Polen in Gefahr
Für die katholische
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