Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
darum, Informationen zu sammeln und ins Gespräch zu kommen. In Warschau werde ich, begleitet von Marianne Saur, herzlich empfangen vom italienischen Tübinger Stipendiaten Dr. GERARDO CUNICO und seiner polnischen Frau Dr. ANNA CZAJKA , beide Spezialisten für den marxistischen Philosophen Ernst Bloch. Von der Katholisch-Theologischen Fakultät Warschau erhalte ich keine Einladung, wohl aber vom Klub der Katholischen Intelligenz (KIK), wo meine Theologie auf lebhaftes Interesse stößt. In der angeregten Diskussion finde ich besonders in Prof. ALFONS SKOWRONEK einen aufgeschlossenen Gesprächspartner, der die persönlichen Beziehungen mit mir aufrechterhält und mich in Tübingen besucht.
Nicht weniger interessant ist das Gespräch beim Abendessen mit dem bekannten Filmregisseur und Filmproduzenten KRZYSZTOF ZANUSSI , der 1981 den Film »Aus einem fernen Land« über Papst Johannes Paul II. produziert hatte. Papstkritischer als er ist der ebenfalls eingeladene ADAM MICHNIK , gescheiter und gewitzter Herausgeber und Chefredakteur der größten polnischen Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«, der aber als jüdischer Intellektueller bezüglich der Publikation meiner Artikel in seiner Zeitung auf die kirchliche Hierarchie Rücksicht nehmen muss und meines Wissens nie einen Artikel von mir veröffentlicht hat.
Die katholische Volksfrömmigkeit Polens lerne ich anschließend in Czestochowa kennen, wo an diesem wichtigsten Marienheiligtum Polens auch an einem gewöhnlichen Werktag einige Hundert Pilger zur »Schwarzen Madonna« strömen. Am nächsten Abend in Krakau bewundern wir vor allem den riesigen Platz des Alten Marktes mit der gotischen Marienkirche. Nach einem ausgezeichneten Abendessen wandern wir über den Platz, wo nur noch ein einziges Licht leuchtet. Ein Nachtklub – Symptom dafür, dass die westliche »Kultur« auch in Polen Einzug hält.
Die letzte Station ist Wroclaw (das frühere Breslau), wo dieses Jahr der 18. Internationale Hegelkongress stattfindet. Ich bin eingeladen, bei der Eröffnung einen öffentlichen Vortrag in der Aula Leopoldina zu halten über »Hegels Bedeutung für die Theologie« und »Europa im Epochenumbruch. Aufhebung der Moderne in die Postmoderne«. Bei dieser Gelegenheit fordere ich dazu auf, nach dem Vorbild der deutsch-französischen Freundschaft nun auch die deutsch-polnische Aussöhnung und Freundschaft zu verwirklichen.
In all den Gesprächen und Erfahrungen dieser Reise ist mir deutlich geworden: Mit sukzessive eingeführter demokratischer Grundordnung verliert die katholische Kirche mehr und mehr ihre starke gesellschaftliche Position als Bollwerk gegen das kommunistische System. Und mit der Ablösung des bis 2001 regierenden katholischen Wahlbündnisses »Solidarität« und der Einführung des modernen Scheidungsrechts durch das polnische Parlament – trotz einer Protestrede des mit Fäusten drohenden Pontifex auf seiner »Pilgerreise« durch Polen! – ist nun klar geworden, dass auch der politische Katholizismus der Hierarchie in diesem Land seine Grenzen gefunden hat. In einer anderen traditionell katholischen Nation freilich ist die Modernisierung bereits weiter vorangeschritten:
Irland im Umbruch
Auch in diesem tief katholisch-traditionalistischen Land ist mein Name schon früh bekannt – und umstritten. Damit muss ich mich überall abfinden. Viele Menschen dort sind allerdings schon seit längerer Zeit unzufrieden mit traditionellen Positionen der katholischen Kirche in Sachen Empfängnisverhütung, Ehescheidung, Abtreibung … Andere jedoch sind in Sorge wegen einer drohenden Auflösung katholischer Lehre, Moral, Strukturen. Schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren werde ich von irischen Medien interviewt. Meine früheste Fernsehaufzeichnung überhaupt (eines Pressegesprächs in Tübingen) erhalte ich später als Geburtstagsgeschenk von der Irish Television zugeschickt. Kontakt habe ich zum Beispiel mit JOHN HORGAN , dem Konzilskorrespondenten der »Irish Times«, der 1967 mein ausführliches kritisches Interview zur nachkonziliaren Lage der Kirche veröffentlicht, das auch in den USA Verbreitung findet.
Die Internationale Zeitschrift für Theologie »Concilium« hält im Juni 1973 ihre Jahresversammlung im irischen Zentralseminar der Päpstlichen Universität von Maynooth , das vor dem Konzil Tausende von Priestern in die ganze englischsprachige Welt exportiert hatte. Wir verstehen uns recht gut mit einigen der Professoren
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