Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Kirche erweist sich dieser Pontifikat trotz seiner positiven Aspekte als eine große enttäuschte Hoffnung. Denn durch seine Widersprüche hat dieser Papst die Kirche zutiefst polarisiert, ihr zahllose Menschen entfremdet und sie in eine epochale Krise gestürzt: eine Strukturkrise, die nach dem Vierteljahrhundert dieses Pontifikats fatale Entwicklungsdefizite und einen enormen Reformstau offenbart.
So ist denn die hohe Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche zur Zeit Johannes’ XXIII. und des Zweiten Vatikanischen Konzils dahin. Sie ist in den ersten Jahren des 3. Jahrtausends zum Beispiel in der Bundesrepublik nach einer Internet-Umfrage unter 350.000 Befragten auf 11 Prozent abgesunken. Die Hoffnungskrise erweist sich genauer besehen vor allem als Vertrauenskrise in die gegenwärtige Kirchenleitung . Wer sich heute in unseren Ländern noch in der katholischen Kirche engagiert, identifiziert sich zumeist mit der Ortsgemeinde und ihrem Seelsorger, nur bedingt mit einem papsthörigen Bischof; den Papst selber nimmt man halt in Kauf.
Die vom polnischen Papst forcierte Restauration führt ihn in eine geradezu tragische persönliche Situation . Seine polnisch-katholische antimoderne Modellvorstellung von Kirche, in welche Karol Wojtyła hineingeboren worden war, will er als Papst der angeblich dekadenten westlichen Welt nahebringen. Doch das Gegenteil tritt ein: Ohnmächtig muss er zusehen, wie das Paradigma der Moderne nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems von seiner polnischen Heimat genauso Besitz ergreift wie von Spanien oder Irland: statt der propagierten Rekatholisierungskampagne faktisch ein Entkatholisierungsprozess, nämlich durch westliche Modernisierung, Säkularisierung, Individualisierung und Pluralisierung. Die große Sorge des Papstes ist, je länger desto mehr: Was wird aus katholisch Polen nach Wojtyła?
Die Kirchenkrise zeichnet sich bereits am Horizont ab, als ich Ende August 1990 – ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer und der Zulassung der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc – durch Polen reise. Mir ist bewusst, dass ich in ein brisantes Kräftespiel gerate, zwischen konziliar-reformerischen und konservativ-beharrenden Kräften, wie es schon in der Konzilszeit zu beobachten war (Bd. 1, Kap. IX: Kirche und Freiheit in Polen). Vom Konzil her hatte ich auch in Polen manche Freunde. Unter ihnen ragt hervor JERZY TUROWICZ in Krakau, Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Tygodnik Powszechny«, geistiger Inspirator der regimekritischen katholischen Znak-Gruppe . Er sorgt für eine polnische Ausgabe von »Konzil und Wiedervereinigung«, lässt durch die polnische Theologin HALINA BORTNOWSKA einen langen positiven Artikel über meine Theologie veröffentlichen und publiziert im selben Jahr 1963 meinen Amerikavortrag über Kirche und Freiheit, der in Polen großes Aufsehen erregt und einen Konflikt auslöst.
Denn ich habe in Polen bereits zur Konzilszeit auch mächtige Feinde, vor allem im Episkopat, an seiner Spitze der damalige Primas Kardinal STEFAN WYSZYNSKI , Erzbischof von Warschau. Er steht den intellektuellen Kreisen von Krakau von vornherein reserviert gegenüber und beschwert sich schließlich umgehend, aber vergebens, über die Publikation meiner amerikanischen Freiheitsrede. Doch gelingt es ihm, in Zusammenarbeit mit den politischen Organen, die polnische Ausgabe von »Concilium« nach einem zweijährigen Erscheinen zu unterdrücken.
Dazwischen, mehr Znak zuneigend, KAROL WOJTYŁA , zunächst Weihbischof, dann Erzbischof von Krakau. Er erschien uns bei »Concilium« als aufgeschlossener als der Primas, war aber faktisch schon früh ideologisch mit dem finanzkräftigen Opus Dei verbandelt. Einer geplanten, aber aus verschiedenen Gründen nicht realisierten Begegnung des Stiftungsrats von »Concilium« mit ihm in Krakau wäre er wohl ebenso ausgewichen wie im letzten Moment (mit der faulen Ausrede »Exerzitien«) einem Treffen mit dem bereits extra von Warschau nach Krakau gereisten Bundeskanzler HELMUT SCHMIDT . Ich habe darüber berichtet.
Es schmerzt mich, der ich, wie beschrieben, von Haus aus polenfreundlich bin, dass es gerade ein polnischer Papst ist, der 1979 mit dem Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis eine Unterdrückung der konziliar gesinnten Theologie einleitet, was den restaurativen Kurs offenkundig macht, der die Kirche in die große Krise führen sollte. Auf dieser Polen-Reise nun an der Zeitenwende 1990 ging es mir in erster Linie
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