Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
dort, vor allem mit dem führenden irischen Moraltheologen ENDA MCDONAGH , der für »Concilium« die Kontaktperson ist. Damals ist Maynooth noch ein blühendes Seminar, und wir halten ein prächtiges Dinner mit dem Lehrkörper. Aber welcher Kontrast bei meinem zweiten Besuch zwölf Jahre später: Das Seminar erscheint mir eindeutig im Niedergang, es ist nur mehr ein Essen mit einer kleinen Gruppe und anschließend ein »private meeting« mit Enda McDonagh möglich, der für die Hierarchie ein rotes Tuch, aber für viele in Regierung und Volk eine Leitfigur in der gegenwärtigen Auseinandersetzung ist. Ein Blick in die Zukunft zeigt: Die Kirche Irlands, die früher mehr als jede andere Priester im Überfluss hatte, hat im Jahr 1990 immerhin noch 193 Priesterweihen, im Jahr 2004 gerade noch acht!
Am Sonntag, den 16. Januar 1977, halte ich meinen ersten öffentlichen Vortrag in Irland: auf der Kanzel von St. Patrick’s Cathedral der Church of Ireland (anglikanisch) über das für mich vertraute, für Iren aber neuartige Thema »Was in der Kirche bleiben muss«. Ich treffe in eine angespannte politische Situation, was die Beziehungen zwischen Staat und Kirche betrifft: Nach langen Verhandlungen von Außenminister GARRET FITZGERALD mit dem vatikanischen »Außenminister« Casaroli hatte die irische Regierung den Vorschlag einer Verfassungsänderung dem Vatikan unterbreitet. Demnach sollen Gesetze mit allzu »katholischer« Grundlage, wie das Verbot der Ehescheidung und der Empfängnisverhütung, abgeschafft werden. Dieses Vorhaben erregt großes Missfallen bei der kirchlichen Hierarchie in Irland. Im gleichen Jahr 1977 wird Außenminister FitzGerald von Papst Paul VI. persönlich ermahnt, dass Gesetze nicht so verändert werden sollten, dass Irland – »das vielleicht einzige noch katholische Land« – dadurch weniger katholisch würde.
In meinem Vortrag sage ich: »Heute brauchen wir eine inspirierende intellektuelle und spirituelle Autorität auf allen Ebenen. Aber in vielen Diözesen haben wir reine Klerikalbürokraten mit mehr römischer als katholischer Mentalität … Es besteht eine gefährliche Kluft zwischen den Bischöfen und der Mehrheit der Priester in Bezug auf mehr oder weniger alle wichtigen Probleme in der Kirche von heute …« Das Publikum geht begeistert mit. Schon am Vorabend war ich in die »Late Late Show« des Irischen Fernsehens eingeladen, wo ich zu schwierigen theologischen Fragen Stellung zu nehmen hatte. Am Vormittag nach meinem Vortrag spreche ich in der Irish Theological Association über die eben erschienene englische Ausgabe von »Christ sein«: »On Being a Christian«.
Auf der Rückreise am 18. Januar 1977 stelle ich auf einer Pressekonferenz in London »On Being a Christian« vor, publiziert vom international weitverzweigten Verlag »William Collins Sons« (gegründet 1819). Die Chefin, Lady PRISCILLA COLLINS , lädt mich zum Mittagessen im altenglischen Apartment ihres Verlags in St. James’s Place (beim Buckingham Palace) ein und schlägt mir vor, meinen Vortrag in Irland sofort als kleines Buch herauszugeben: »What Must Remain in the Church« (1977).
Noch am selben Tag komme ich gegen Mitternacht wieder in Stuttgart an. In Gedanken beschäftigt mich bereits das mir in Stuttgart in drei Tagen drohende inquisitorische »Gespräch« über ebendieses Buch »Christ sein« mit bischöflichen und theologischen Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, für die der Erfolg des Buches ein Gegenstand der Besorgnis ist. Dieses höchst unangenehme Gespräch endet ergebnislos, jedenfalls ohne die Glaubenswächter von meiner katholischen Rechtgläubigkeit überzeugen zu können (vgl. Bd. 2, Kap. IX: Unterschiedliche geistige Welten). Welch ein Wechselbad der Gefühle!
Der Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis 1979 macht mich zwar für die irische Hierarchie zur »Persona non grata«, nicht aber für einen Großteil der Bevölkerung oder die irischen Theologen. Als ich daher für 1985 durch Vermittlung des Goethe-Instituts eine Einladung bekomme, am Trinity College, der traditionsreichsten (anglikanisch geprägten) Universität Dublins, einen Vortrag zu halten, nehme ich selbstverständlich an. Angesichts der damals sehr gewaltgeprägten politischen Situation in Nordirland versuche ich gegenseitiges Verständnis zu wecken für die Ängste der Katholiken wie der Protestanten.
Dabei gehe ich aber ganz anders vor als sechs Jahre zuvor JOHANNES PAUL II . Dieser hatte bei seinem
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