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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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dem Vorbild Johannes’ XXIII.) vertritt.
    In einem Wort: Wählen Sie, liebe Mitbrüder, einen Garanten für Freiheit und Offenheit in der Kirche . Denn: ›Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit‹ (2   Kor 3,17).
    Schluß
    Anders als zur Zeit Johannes’ XXIII. und des Zweiten Vatikanischen Konzils herrscht in großen Teilen unserer Kirche heute Pessimismus und Defätismus. Das erfüllt mich mit tiefer Sorge, habe ich doch ein Theologenleben lang dafür gearbeitet, daß Menschen trotz großer Enttäuschungen in unserer Kirche die Hoffnung bewahren . Jetzt freilich liegt es an Ihnen, durch die Wahl eines neuen Papstes die Hoffnung der Menschen zu stärken und die Kirche aus der Hoffnungskrise herauszuführen. So viele Menschen in und außerhalb der katholischen Kirche erwarten, daß der Reformstau aufgelöst und die schon längst anstehenden strukturellen Probleme offen besprochen und einer Lösung zugeführt werden – sei es durch den neuen Papst persönlich oder aber durch die Bischofssynode oder schließlich durch ein Drittes Vatikanisches Konzil.«
    So weit mein offener Brief an die Kardinäle zur Papstwahl 2005. Wieweit dieser offene Brief seine Adressaten erreicht hat, ist mir unbekannt. Schon 2004 hatten wir die Adressen vorbereitet, um den Brief möglichst direkt an die betreffenden Kardinäle gelangen zu lassen. Auch haben wir uns bemüht, ihn in den verschiedenen römischen Kardinalsresidenzen an den Mann zu bringen. Es war jedenfalls ein ziemlich mühseliges Unterfangen, besonders angesichts der nun gegenüber den Medien aufgerichteten Informationssperre. Aber wie immer, ich bin froh, dass ich mir diese ganze Mühe gemacht habe: Denn
    erstens brachte der offene Brief in umfassender Weise die Desiderate ungezählter Katholiken, ja überhaupt Christen, an den kommenden Papst zum Ausdruck;
    zweitens wurde er auch durch die Medien weiterverbreitet 4 ;
    drittens bietet der Brief ein gut strukturiertes Anforderungsprofil, nach welchem der neue Papst beurteilt werden kann. Wer wird es sein?
    Mein Wunschkandidat: Kardinal Martini
    Ein Kardinal hätte diesem Anforderungsprofil am besten entsprochen: CARLO MARIA MARTINI . Menschlich höchst sympathisch und bescheiden, als Jesuit theologisch bestens qualifiziert: zunächst als Fundamentaltheologe und dann als Professor für Neues Testament am Päpstlichen Bibelinstitut, dort Rektor von 1969 bis 1978, im selben Jahr Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana, aber schon am 29.   Dezember 1979 zum Erzbischof von Mailand ernannt. Das war mitten in meiner großen Auseinandersetzung mit Rom. 1983 wurde er zum Kardinal ernannt und galt seither als »papabile«, als ein Favorit für die künftige Papstwahl. Ich habe schon bald Kontakt mit ihm aufgenommen, habe ihm meine Bücher geschickt und ihn in Mailand besucht.
    Anfang November 1994 nehme ich in Riva del Garda an der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP) teil und halte am 4. November einen Vortrag über Weltethos. Am Tag zuvor war ein Sensationsartikel in »La Stampa« erschienen mit dem ominösen Titel »Martini – ein Verschwörer gegen den Papst« (»Martini – congiurato anti-Papa«), der mich als Mitverschwörer bezeichnet, der mit Martini auf den Rücktritt des Papstes hinarbeite. Der Hintergrund: ein Buch des papstnahen Journalisten VITTORIO MESSORI , der aber für seine Verschwörungsthese keine Namen nennt. Mit Bezug darauf behauptet ein obskurer Vertreter der rechtslastigen Lega Nord, damit seien Kardinal Martini und Hans Küng gemeint. In einem Interview des römischen »Messaggero« vom 4. November 1994 weise ich diese Story als »follie«, »Verrücktheiten«, zurück. Angesichts der sich schon damals abzeichnenden Krankheit des Papstes jedoch waren Gerüchte über einen möglichen Rücktritt unvermeidlich.
    Ich treffe Kardinal Martini am Rande der Konferenz in Riva del Garda am Tag darauf, am 5.   November. Wir unterhalten uns eingehend über die gegenwärtige Zusammensetzung des Kardinalskollegiums und die entscheidende Frage, wie im kommenden Konklave eine Mehrheit für einen fortschrittlichen Papst erreicht werden könne. Niemand erwartete damals, dass dieser kranke Papst noch über zehn Jahre im Amt bleiben würde.
    Martini und ich bleiben über die Jahre in losem Kontakt und in gegenseitiger Sympathie verbunden, und ich sende ihm weiterhin regelmäßig meine Bücher zu. Vom Vatikan aber wird schon früh die Nachricht verbreitet, auch Kardinal Martini sei krank.

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