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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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moralischen Werte ins Licht gesetzt, in denen die großen Religionen der Welt bei allen Unterschieden konvergieren und die sich von ihrer überzeugenden Sinnhaftigkeit her auch der säkularen Vernunft als gültige Maßstäbe zeigen können. Der Papst würdigte positiv das Bemühen von Professor Küng, im Dialog der Religionen wie in der Begegnung mit der säkularen Vernunft zu einer erneuerten Anerkennung der wesentlichen moralischen Werte der Menschheit beizutragen. Er stellte heraus, daß der Einsatz für ein erneuertes Bewußtsein der das menschliche Leben tragenden Werte auch ein wesentliches Anliegen seines Pontifikates darstellt.
    Ebenso bekräftigte der Papst seine Zustimmung zu dem Mühen von Professor Küng, den Dialog zwischen Glaube und Naturwissenschaft neu zu beleben und die Gottesfrage dem naturwissenschaftlichen Denken gegenüber in ihrer Vernünftigkeit und Notwendigkeit zur Geltung zu bringen. Professor Küng seinerseits drückte seine Zustimmung zu dem Mühen des Papstes um den Dialog der Religionen wie um die Begegnung mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen der modernen Welt aus.
    Città del Vaticano, 26.   September 2005«
    Diese Pressemeldung geht um die Welt. Sie verschafft meinem theologischen Standpunkt Ansehen, aber auch Papst Benedikt viel Sympathie: »Vielleicht ist er auch noch zu anderen kühnen Taten fähig …« Im Vatikan ist man verblüfft und verunsichert. Selbst lang gediente »Vaticanisti« (Vatikanexperten) sind völlig überrascht. Was sich im Vatikan sofort an Gegenkräften bildet, ist mir nicht bekannt.
    Natürlich mache ich mir keine Illusionen: Wir haben zwar auch manche Fragen heutiger Weltpolitik besprochen, uns aber verabredungsgemäß auf Fragen kirchlicher »Außenpolitik« (Vatikanum II: Ecclesia ad extra) konzentriert, und die in der Kirchengemeinschaft heftig umstrittenen Fragen kirchlicher Innenpolitik (Ecclesia ad intra) höchstens am Rande gestreift. Ich hoffe, Papst Benedikt erwartet nicht, dass ich in Zukunft meine Reformanliegen – es sind ja wahrhaftig nicht nur die meinen – verschweigen würde. Schon unser Gespräch an sich ist zweifellos für viele in der Kirche ein Hoffnungszeichen, dass Papst Ratzinger vielleicht doch nicht so festgelegt sei, wie man das aufgrund seiner römischen Jahrzehnte befürchten muss. Er braucht freilich Zeit, und ich registriere aufmerksam, dass er auf der noch vom Vorgänger vorbereiteten Bischofssynode den Bischöfen vorsichtig freie Zeit zur Diskussion gewährt. Auch bin ich nach unserem Gespräch überzeugt, dass er in Zukunft konstruktive Initiativen ergreifen wird, etwa in Bezug auf den Dialog der Religionen oder die orthodoxen Kirchen.
    Aber selbstverständlich kommt es bei alldem weniger auf Worte und Gesten als auf Taten an. Und solche dem widerstrebenden kurialen Hofstaat abzuringen dürfte für den Papst, wenngleich man ihm theoretisch die volle Jurisdiktionsgewalt zuschreibt, nicht einfach sein. Doch kennt Ratzinger wie kein Zweiter die Kurie und den Episkopat und ist anders als sein Vorgänger ein guter Administrator und zugleich ein Gelehrter von Format. Er könnte, wenn er wollte, Reformen durchführen, so sagte mir ja Kardinal Martini, die ein mehr progressiver Kardinal und Papst nicht so leicht durchführen könnte. Und in der Tat: Ist er nicht in der Lage eines CFO (Chief Financial Officer), der über die Buchhaltung zu wachen hatte, in Zahlen vertieft und in steter Sorge um Überschreitungen des Budgets, der jetzt aber CEO (Chief Executive Officer) geworden ist, also Leiter des ganzen Konzerns? Er muss sich jetzt auch um die Menschen kümmern, die eigene Belegschaft vor allem, aber auch um die Öffentlichkeit; er ist auf Sympathien und Unterstützung angewiesen, wenn er erfolgreich sein will, muss Menschen bewegen, gewinnen, motivieren können. In diesem Kontext muss er dann Topentscheidungen fällen, die das Ganze betreffen.
    Obwohl ich in vielen innerkirchlichen Reformfragen, wie vielfach dokumentiert, konstant eine andere Auffassung vertrete als Joseph Ratzinger, so bin ich zu diesem Zeitpunkt noch überzeugt: Dieser Papst ist
    – ein eher ruhiger, nachdenklicher, um Reflexion bemühter Gelehrter, der nicht ständig auf große öffentliche Auftritte aus ist; sowohl die Reisen wie die Minutenaudienzen hat er reduziert;
    – ein eher langsamer, in kleinen Schritten vorangehender Oberhirte, der Zeit braucht und mit kleinen Änderungen versucht, große Veränderungen in Gang zu setzen;

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