Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
und Islam verbinden lassen. Wenn die katholische Kirche Jahrhunderte brauchte, um endlich im Vatikanum II (1962 – 65) Menschenrechte und insbesondere Religionsfreiheit zu akzeptieren, so sollte das auch im Islam möglich sein. Die Entwicklung in der Türkei wird in der ganzen islamischen Welt aufmerksam beobachtet: ob es trotz der Turbulenzen des Jahres 2013 gelingt, einen Weg zu gehen zwischen antireligiösem Säkularismus und religiösem Fundamentalismus. Der 11. September 2001 und die terroristischen Anschläge haben jedenfalls dazu geführt, dass in vielen muslimischen Ländern eine Diskussion über Gewalt und Terrorismus in Gang gekommen ist: Auch dies ist wichtig für einen aufrichtigen Dialog.
Konstantinopel (30. November 2006), Orthodoxie :Mehrfach ist nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Wiederherstellung der »vollen Einheit« zwischen katholischer und orthodoxer Kirche als Ziel beschworen worden, und Benedikt XVI. lädt – ähnlich wie seine Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. – zu einem »brüderlichen Dialog« ein, »um die Art und Weise zu bestimmen, wie das Petrusamt ausgeübt werden könnte und dabei gleich dessen Natur und Wesen respektiert wird«. Tatsächlich ist die geforderte universale päpstliche Jurisdiktionsgewalt, also letztlich über alle Teile der Kirche bestimmen zu können, ein völlig ungelöstes Problem zwischen den Kirchen.
Nun sind freilich keine weiteren Jahre Kommissionsarbeit in Sachen Papstamt notwendig. Lösungsvorschläge liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch, werden aber von Rom ignoriert. Es fehlt nicht an theologischer Erkenntnis, sondern an der römischen Bereitschaft zum Verzicht auf Machtansprüche. Was würden unsere Kirchenoberhäupter zu Christen sagen, die sich versöhnen wollen, aber immer nur »neue Gespräche«, »kleine Schritte«, »mehr Gebet« und »Hoffnung auf den Heiligen Geist« ankündigen? Es kommt doch in erster Linie auf den Papst an. Aber seine Begegnung mit dem ökumenisch aufgeschlossenen Patriarchen BARTHOLOMAIOS I. ist enttäuschend. Sie geht kaum über den Bruderkuss hinaus, den schon Paul VI. 1964 mit Patriarch Athenagoras in Jerusalem ausgetauscht hatte.
Damals war immerhin die gegenseitige, neun Jahrhunderte andauernde »ex-communicatio« des Jahres 1054 aufgehoben worden. Warum also 40 Jahre nach der Jerusalemer Begegnung nicht endlich positiv die frühere »communio« wiederherstellen und durch eine gemeinsame Eucharistiefeier bezeugen? Doch stattdessen wohnt der Bischof von Alt-Rom einer Eucharistiefeier des Bischofs von Neu-Rom nur passiv bei. Haupthindernis für die Wiederherstellung der alten Kircheneinheit ist in der Tat der seit der Gregorianischen Reform des 11. Jahrhunderts erhobene Machtanspruch des Papstes über die Ostkirchen. Joseph Ratzinger hatte als mein Kollege in Tübingen noch ganz vernünftig vertreten: »Rom muß vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde.« Das würde für heute bedeuten: Statt eines unbiblischen und erst seit dem 11. Jahrhundert von Rom beanspruchten Jurisdiktionsprimats über die östlichen Kirchen, aber auch statt eines belanglosen Ehrenprimats wäre die Lösung – in der gemeinsamen Tradition des ersten Jahrtausends – ein ökumenischer Pastoralprimat des Bischofs von Rom. Als Vorbild könnte Johannes XXIII. gelten, der sich weitgehend auf geistliche Führung, auf Inspiration, Mediation und Koordination beschränkte.
Aparecida/Brasilien (13. Mai 2007), Missionierung :Auf seiner Brasilienreise 2007 vermeidet der Papst die bekannten heißen Themen. Auch zur Befreiungstheologie sagt er nichts Neues, nimmt aber zur Frage der christlichen Mission bzw. der spanischen Conquista in Lateinamerika Stellung, dies allerdings in einer völlig unpassenden Weise:
Die katholische Kirche habe sich den Indios in Lateinamerika nicht aufgezwungen. Vielmehr hätten die Stämme die Ankunft der Priester im Zuge der spanischen Eroberung »still herbeigesehnt«. Kein Wunder, dass diese Einschätzung bei den Vertretern der indigenen Völker – angesichts der Massaker an diesen Völkern, ihrer Dezimierung und der Auslöschung ihrer Kultur – höchste Empörung auslöst. Auch viele europäische Fachleute kritisieren diese Aussagen. Der Kölner Historiker HANS-JÜRGEN PRIEN , ein Spezialist für die Kirchengeschichte Lateinamerikas, wirft Benedikt »unglaubliche Geschichtsklitterung« vor. Die Rede sei »das
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