Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
relativ lange Zeiten Diskussion in der Bischofssynode haben mindestens mal einen Anfang von Kollegialität geboten;
– ein noch in manchem freier, jedenfalls nicht in allen Punkten festgelegter Konservativer, der (wie in der Annahme des Gesprächs mit mir) die Welt noch mit eigenen Entscheidungen überraschen dürfte;
– einer, der von Amts wegen unter starkem Druck der (in Rom so genannten) wojtylistischen Tendenzen in der Kurie steht, von denen er sich aber in einer »discontinuità dolce« zu distanzieren versucht; einen hohen Kurialen, der ihm eine Ernennungsliste für Führungspositionen vorgelegt hat, soll er rasch freundlich verabschiedet haben.
Doch auch diese Frage bleibt: Wohin steuert Benedikt XVI.? Der Analyse hilft eine schematische Vereinfachung: Der Papst hat die Wahl zwischen einer Rückzugsstrategie in die vormoderne, vorreformatorische Konstellation (Paradigma) des Mittelalters – oder einer Vorwärtsstrategie in die nachmoderne Konstellation, in welche die Welt schon längst eingetreten ist.
Selbstverständlich verfolge ich Weg und Taten von Papst Benedikt nach unserem Treffen aufmerksam. Und muss feststellen: Leider werden die Erwartungen vieler Menschen auf weitere kühne Taten des Papstes nicht erfüllt. Für viele stellen sich bald schon die ersten Enttäuschungen ein, die hier nur kurz registriert werden sollen: Ich nehme dazu ohne großes Aufsehen in einzelnen Pressekommentaren kritisch Stellung.
Erste Enttäuschungen: Regensburg – Istanbul – Konstantinopel – Aparecida/Brasilien – Washington
Regensburg (12. September 2006), Islam :Der Papst zitiert in einem Vortrag über Vernunft und Glaube an der Universität Regensburg einen historischen Dialog zwischen dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos und einem persischen Gelehrten aus dem späten 14. Jahrhundert: Darin hatte der Kaiser die muslimische Glaubensverbreitung durch Gewalt als widersinnig kritisiert und dem islamischen Propheten Mohammed vorgeworfen, »nur Schlechtes und Inhumanes« in die Welt gebracht zu haben.
Mit seiner als islamkritisch aufgefassten Rede hat Benedikt zwar mit Sicherheit keine gezielte Provokation der islamischen Welt beabsichtigt. Dem Papst ist aber aus mangelnder Information über den Koran und den Islam ein vermeidbares Missverständnis unterlaufen. Hier zeigen sich die Grenzen des Theologen Ratzinger, der sich mit anderen Religionen nie ausreichend auseinandergesetzt hat.
Die Vorwürfe islamischer Verbände gegen die Papst-Rede sind durchaus berechtigt. Es ist höchst unklug, das historische Dokument eines byzantinischen Kaisers zu nehmen, um darzulegen, wie der Islam zu verstehen sei. Ich rate zu Mäßigung in der aufflammenden Debatte. Das Verhältnis zwischen Christentum und Islam kann ja nicht auf das Thema Gewaltanwendung reduziert werden. In der Geschichte aller drei monotheistischen Religionen einschließlich des Judentums gab und gibt es neben Blut und Tränen immer auch viel Positives.
Der christliche Westen muss sich im Umgang mit der islamischen Welt allerdings immer bewusst bleiben, dass die Ära der Kolonialisierung und Unterdrückung der muslimischen Welt im 19. Jahrhundert von Marokko bis Indonesien im Bewusstsein der Muslime unverändert eine große Rolle spielt. Die Kriege in Afghanistan, Irak, Palästina und Libanon lassen den Westen, der sich stets seiner Demokratie und Friedfertigkeit rühmt, als Aggressor erscheinen.
Istanbul (30. November 2006), Türkei :Papst Benedikt hat in der Folge gelernt: Seine falschen Regensburger Aussagen über den Islam hat er nicht wiederholt. Vielmehr lässt er sich in Istanbul vom Präsidenten der staatlichen Religionsbehörde ALI BARDAKOGLU in aller Öffentlichkeit über den Islam belehren. Der vom Papst geforderte ehrliche Dialog setzt in der Tat seriöse Information voraus. Darüber hinaus setzt der Papst positive Zeichen, die er sich in Regensburg wohl selbst nicht hätte träumen lassen: vornehme Zurückhaltung in der früher christlichen Hagia Sophia; Beten mit dem Großmufti in der Blauen Moschee, muslimisches Gegenstück zur Hagia Sophia; Schwenken einer türkischen Fahne … Bilder und Gesten sind oft wirkkräftiger als Worte.
Doch sie rufen nach Konsequenzen: Es braucht jetzt einen andauernden Dialog auf allen Ebenen. Und konkrete Fortschritte, natürlich auch für die christlichen Minderheiten in der Türkei. Diese macht unter der Regierung Erdogan das epochale Experiment durch, wieweit sich säkularer Staat
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