Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Oberflächlich-Schönfärberischste«, was er aus päpstlichem Mund zur Mission Lateinamerikas seit 30 Jahren vernommen habe.
Washington (16. April 2008), Papst und Präsident :Für mich ist es unbegreiflich: Wie kann der Papst seinen 81. Geburtstag gerade an der Seite von GEORGE W. BUSH feiern, der ihn im Weißen Haus als »persönlichen Freund« begrüßt, der aber für seine Politik die niedrigste Zustimmung seit Beginn der Statistik aufweist? Er hat ja seine große demokratische Nation mit einem Lügengeflecht sondergleichen in einen völkerrechtswidrigen und unmoralischen Krieg im Irak geführt, der Zehntausenden das Leben gekostet und Hunderte von Milliarden Dollar vergeudet hat. Ein Politiker, den viele Menschen genauso wie SLOBODAN MILOšEVIC lieber vor einem Kriegsverbrechertribunal statt an der Seite des Papstes sehen möchten. Und dabei kein Wort des Papstes über den Irakkrieg, die Folterungen, die Verletzung der Menschenrechte im In- und Ausland. Feigheit vor dem »Freund« … Offensichtlich sind dem Vatikan wieder einmal gemeinsame Machtinteressen und eine gemeinsame Front gegen Pille, Kondome und Abtreibung wichtiger.
Doch präsentiert sich Benedikt XVI. in den USA in einer großen Charmeoffensive ganz als freundlicher, liebenswürdiger und bescheidener Hirte, der zu allen »harten Themen« – Empfängnisverhütung, Zölibat, Frauenordination, Abtreibung, Sterbehilfe – schweigt. Offensichtlich will er alle Fettnäpfchen vermeiden. Erfreulich deutlich aber drückt der Papst in den USA nach monatelangem Zögern doch seine »tiefe Scham« über die zahllosen von Priestern begangenen Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen aus. Auf öffentlichen Druck hin empfängt er schließlich auch Repräsentanten von Opfern, allerdings unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit. Und er zögert auch nicht, die amerikanischen Bischöfe zu kritisieren, welche auf die klerikalen Pädophilieskandale schlecht reagiert hätten. Allerdings unternimmt er keine Aktion gegen Bischöfe, die eklatant moralisch versagt haben. Auch vermeidet er als langjähriger früherer Präfekt der Glaubenskongregation, die für die Bearbeitung klerikaler Sexualdelikte zuständig ist, jedes Eingeständnis der Mitschuld. Als ob die weltweite Vertuschungs- und Verschiebungspraxis der Bischöfe nicht von Rom approbiert und gesteuert gewesen wäre! Doch hat kein amerikanischer Bischof den Mut, den Papst daran zu erinnern, dass man sich schließlich an die römischen Richtlinien gehalten habe.
Die Rede des Papstes vor den Vereinten Nationen auf derselben USA-Reise ist eher ein akademischer Vortrag, in dem er Hochschätzung für die UNO ausdrückt und nachdrücklich auf den Menschenrechten insistiert, ohne aber irgendwo konkret zu werden. So können denn alle höflich Beifall klatschen und im Übrigen weitermachen wie zuvor. Zweideutig aber ist seine Rede, die er vor mehreren Hundert katholischen Akademikern hält. Er bejaht den großen Wert der akademischen Freiheit, setzt ihr aber klare Grenzen mit den römischen »Positionen«: »Jeder Appell an das Prinzip der akademischen Freiheit, um Positionen zu rechtfertigen, die dem Glauben und der Lehre der Kirche widersprechen, würde die Identität und Sendung der Universität behindern oder gar verraten.« Trotzdem viel Beifall, kaum Einspruch. All die lehramtlich Gemaßregelten haben also mit keiner Rehabilitation zu rechnen.
Was aber hat der Papst in den USA wirklich erreicht? Kurzfristig viel römisch-katholische Begeisterung und viele positive Kommentare von weithin naiven Medien – aber langfristig? Es sind Pyrrhussiege. Ein früherer Sprecher der Amerikanischen Bischofskonferenz erinnert an die ebenfalls von Medien massiv angeheizten Triumphe von Papst Ratzingers Vorgänger Wojtyła 20 oder 25 Jahre zuvor, nach denen es allen Statistiken zufolge trotzdem mit der katholischen Kirche der USA ständig bergab ging: weniger Gottesdienstteilnehmer, Priester, Priesteramtskandidaten, Ordensangehörige, mehr Skandale, Finanzierungsprobleme, Schließung von Schulen und anderen katholischen Institutionen. Der Vatikankorrespondent der angesehenen katholischen Zeitschrift »The Tablet« (London), ROBERT MICKENS , beschließt seine Reiseberichterstattung mit dem Urteil eines älteren Priesters aus New York: »Es war, wie wenn man seinen Schwiegervater zu Besuch hat. Man versteckt den ganzen ›Dreck‹ (›mess‹), und dann, wenn er wieder gegangen ist, holt man alles wieder heraus.«
Weitere Kostenlose Bücher