Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
WIESENHÜTTER veröffentlichen eine Fülle von Erfahrungen Ertrunkener, Erfrorener, Abgestürzter, aber dann doch Wiederbelebter. Erfahrungen von Menschen also, die klinisch tot (»medically dead«) waren und von ganz ähnlichen Sterbeerlebnissen berichten: außerhalb des Körpers sein – Lichtphänomene – Stimmen …
In meiner ersten Vorlesung über »Ewiges Leben?« im Studium generale am 7. Mai 1981 bin ich in der Beurteilung der vielfach seriös bezeugten Phänomene zurückhaltend. Ich leugne sie nicht, aber deute sie. Sind sie doch auch bei anderen seelischen Sonderzuständen zu beobachten, etwa im Traum, bei Schizophrenie, bei Einnahme von Halluzinogenen wie LSD oder Meskalin. Zugleich werden diese positiven Sterbeerlebnisse relativiert durch höchst angst- und qualvolle Sterbeerlebnisse, etwa im Fall von Vergiftungen. Jedenfalls lassen sie sich möglicherweise rein naturwissenschaftlich-medizinisch erklären, etwa als psychologische Schutzschaltung des Gehirns und Erregungen des Zentralnervensystems, vielleicht so etwas wie ein letztes »Ersatzluftholen« des absterbenden Gehirns.
Über wissenschaftliche Details möchte ich kein Urteil abgeben, für meine theologische Analyse ist entscheidend: Keiner der »klinisch Toten« hat den biologischen Tod, hat den irreversiblen Verlust der Lebensfunktionen und Untergang aller Organe und Gewebe erlebt. Das heißt: Klinisch Tote haben den Tod als definitives Ende des Lebens nur »fast«, aber eben »nicht wirklich« erlebt. Sie waren nahe an der Schwelle des Todes, haben sie aber nicht überschritten. Diese Sterbeerlebnisse sind die letzten Minuten oder Sekunden vor dem Tod , für ein mögliches Leben nach dem Tod beweisen sie nichts. Aber sie geben zu denken. Präzise nennt man sie Nahtoderfahrungen .
An diesem Punkt unterscheide ich mich von Elisabeth Kübler-Ross, die in den Nahtoderfahrungen Beweise für ein Leben nach dem Tod sehen möchte. Das hindert mich aber nicht, sie an die Universität Tübingen zu einer Gastvorlesung einzuladen, was ich als Direktor des jetzt fakultätsunabhängigen Instituts für Ökumenische Forschung tun kann, ohne jemanden fragen zu müssen. Keine medizinische oder theologische Fakultät hätte dies an meiner Stelle getan. Für die Mediziner ist Elisabeth Kübler-Ross zu wenig »wissenschaftlich« und fordert eine Stellungnahme zu einer Glaubensfrage heraus. Für die Theologen aber ist sie zu empirisch und zu wenig »theologisch«.
Doch der Direktor der Radiologischen Universitätsklinik, Professor WALTER FROMMHOLD , ist bereit, mit mir als Diskussionspartner aufzutreten. Der Zustrom des Publikums ist überwältigend. Als wir zu dritt die große Freitreppe zum Festsaal hinaufsteigen, kommen uns riesige Menschenmassen entgegen, sodass ich frage, was denn da für eine Lehrveranstaltung vorausgegangen sei. Man antwortet mir: »Wir wollten doch alle in den Festsaal oder ins Audimax für Frau Kübler-Ross, aber es ist alles total überfüllt.« Ihre Darlegungen, die dieses Mal von Kinderzeichnungen ausgehen, sind instruktiv und beeindruckend. Unsere Diskussion gerät aber doch kontrovers: Einwände des Radiologen werden von dem mit Frau Kübler-Ross sympathisierenden Publikum mit unwilligem Gemurmel kommentiert. Jedenfalls ist der Abend ein großes Erlebnis und hat die Diskussion mächtig vorangebracht.
Als ich im nachfolgenden Winter vom Schweizer Fernsehen angefragt werde, am 19. Dezember 1982 mit Elisabeth Kübler-Ross ein 45-minütiges »Neujahrsgespräch« zu führen, unterbreche ich meine Weihnachtsferien in Lech und fahre nach Zürich. Auf den Wunsch der Moderatorin aber, ich möge doch die Sterbeforscherin »richtig in die Zange nehmen«, gehe ich nicht ein. Zwar melde ich auch hier deutlich meine Vorbehalte an, aus Nahtoderfahrungen Beweise für ein ewiges Leben abzuleiten. Aber es scheint mir ganz und gar unangemessen, diese bei all ihren Erfolgen höchst bescheidene und selbstlos wirkende Frau wie ein Anwalt ins Kreuzverhör zu nehmen. Das Publikum sollte meine Gegenargumente hören, aber schließlich selber entscheiden. Wichtig vor allem für mich als Theologen: Die Auseinandersetzung mit der Sterbe- und Todesfrage muss weitergehen! Der Kritiker der »Berner Zeitung« (6. 1. 1983) spricht von einer »Sternstunde«: »eine außergewöhnlich engagierte, sehr persönlich gehaltene, zutiefst menschliche Diskussion«. Dabei mache ich klar:
Ewiges Leben – die Alternative
Eines hat diese Sterbeforschung auch in der
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