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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Verständnis der anderen Religionen: Es galt jede Religion so darzustellen, nicht wie wir sie gern verstehen möchten, sondern wie sie sich selbst versteht.
    Bei diesen Vorarbeiten für das Projekt Weltethos haben mir erfreulich viele Lehrende und Lernende aus Philosophie, Theologie und besonders aus der Religionswissenschaft, aber auch anderen Disziplinen geholfen: Dankbar nenne ich den Islamologen JOSEF VAN ESS , den Indologen HEINRICH VON STIETENCRON , den Buddhologen HEINZ BECHERT , meine chinesische Kollegin und Freundin JULIA CHING und den ebenfalls schon früh verstorbenen jüdischen Gelehrten PINCHAS LAPIDE . Mit ihnen allen habe ich in den 1980er-Jahren in diesem Hörsaal hier Dialogvorlesungen über »Christentum und Weltreligionen« gehalten und sie später publiziert.
    Doch schon bei einem Vortrag im Jahre 1967, anlässlich der Jahrhundert-Feier der American University in Beirut im damals noch friedlichen Libanon, war mir die Einsicht aufgegangen: Der Dialog zwischen den Religionen ist nicht nur ein akademisches oder religiöses, sondern auch ein hochpolitisches Unterfangen. Schon 1984 konnte ich im Anschluss an unsere Dialogvorlesungen die Sätze formulieren, die unterdessen – im Kontrast zur späteren These Huntingtons vom unausweichlichen »Zusammenprall der Kulturen« – weltweite Anerkennung gefunden haben: Kein Weltfriede ohne Religionsfriede, kein Religionsfriede ohne Religionsdialog. Und kein Religionsdialog ohne Grundlagenforschung.
    Es ist mir sehr wohl bewusst: Von außen gesehen mutet meine Geschichte mit dem Weltethos als eine erfolgreiche akademische Karriere an, bei der sich eines aus dem andern organisch entwickelte. Von innen gesehen ist sie aber eine Geschichte der Überraschungen , der Überraschungsgeschenke, ja, wenn ich als Theologe reden darf, der Überraschungsgnaden, für die ich nie genug dankbar sein kann.
    Nach dem Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis 1979 war ich bestimmt zu einem akademischen Mauerblümchen, ein Professor, der weder Promotionen noch Habilitationen abnehmen, keine Schüler und nur noch wenige Studenten haben kann. Aber – etwas salopp formuliert: Die Kurie denkt und Gott lenkt!
    1. Überraschung: Ohne dass ich es zunächst bemerkte, wurde mir durch den neuen fakultätsunabhängigen Status das geschenkt, was ich nicht für möglich hielt: so etwas wie ein Max-Planck-Institut für ökumenische Theologie, in welchem ich frei meine Forschung und meine Lehre gestalten konnte.
    2. Überraschung: Ich konnte in Tübingen bleiben, und Walter Jens wollte ja auch nicht nach Hamburg umziehen: Das machte es möglich, auf unser beider Initiative hin 1980 das Studium generale an der Universität Tübingen zum Leben zu erwecken – eine eigene Erfolgsgeschichte bis heute.
    3. Überraschung: Theologie und Religionswissenschaften zeigten auch in Tübingen stets Berührungsängste, und eine Vorlesung von zwei Professoren gleichzeitig war unüblich. Prof.   Josef van Ess war der erste Religionswissenschaftler, der mit mir die neue Form einer religionswissenschaftlich-theologischen Dialogvorlesung über den Islam erprobte, der dann manche andere folgten.
    4. Überraschung: Ein unerwartetes Ergebnis dieser theologisch-religionswissenschaftlichen Vorlesung war das politische Postulat: Kein Weltfriede ohne Religionsfriede, das ich 1989 in Paris der UNESCO als Programm vorstellen konnte.
    5. Überraschung: Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos konnte ich zu Beginn des Jahres 1990 sprechen zum Thema: »Warum brauchen wir globale ethische Standards, um zu überleben?« Die Idee des Weltethos in nucleo.
    6. Überraschung: Der unerwartete weltpolitische Umschwung 1989/90 in der DDR und im Sowjetimperium war der Anstoß zur Veröffentlichung der Arbeiten für ein gemeinsames Menschheitsethos im Buch »Projekt Weltethos«.
    7. Überraschung: Schon drei Jahre später, 1993, wurde eine »Erklärung zum Weltethos«, die in Tübingen vorbereitet worden war, vom Parlament der Weltreligionen in Chicago verabschiedet.
    8. Überraschung: Als mir durch die bevorstehende Emeritierung mein kleines, aber sehr effektives Mitarbeiterteam verloren zu gehen schien, kam 1995 ein Telefonanruf von Graf von der Groeben, der mir in der Folge fünf Millionen D-Mark zur Gründung einer Stiftung Weltethos zur Verfügung stellte.
    9. Überraschung: Das Jahr 1997 brachte uns in Fortschreibung des Projekts Weltethos das Buch »Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft«, aber auch die in Tübingen

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