Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Journalisten einmal zeigen«. Zwei Minuten hätte ich Zeit, eine Probe abzuliefern: für die abendliche »Tagesschau«, die meistgesehene Fernsehsendung Deutschlands, den üblichen Kommentar, im Nachhinein zum Papstbesuch! Ein Vorhang geht auf hinter mir, und da ist schon die ganze Staffage für die »Tagesschau«. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Klappe – und los geht’s! Ich habe keine Sekunde Zeit zur Vorbereitung und beginne spontan: »Ja, meine Damen und Herren, ich gehöre zu den ganz wenigen Fernsehjournalisten, denen man überhaupt nicht einmal Zeit gibt, sich vorzubereiten. Ich möchte aber trotzdem hier diesen kurzen Kommentar abgeben.«
Und so fahre ich fort, wie es zwei Tage später (17. 12. 1980) in der »Welt« in vollem Wortlaut abgedruckt wird: »Ich glaube, es war niemand hier, der nicht diesen Besuch des Papstes in Deutschland mit großer Anteilnahme gesehen hat. Ich glaube auch, dass man hier etwas gespürt hat in einem Mann, wie man es bei deutschen Kirchenfürsten – wie man sie früher nannte – eigentlich selten spüren konnte: nämlich jemand, der etwas ausstrahlt, jemand, der etwas zu sagen hat, jemand, der ganz präsent ist, jemand, der auch offensichtlich menschenfreundlich ist und auch vieles gesagt hat, was – glaube ich – alle von uns unterschreiben könnten.
Ich würde gar nichts dagegen sagen, ich habe mich nur gefragt, ob wohl alle Menschen in diesem Lande sich ganz verstanden gefühlt haben. Ob sie nicht erwartet hätten, dass der Papst statt eine Kommission einzusetzen für ökumenische Dinge, dass er – nachdem wir ja schon so viele Kommissionen hatten – nicht vielleicht doch mal ein gutes Wort sagen würde dafür, dass doch nicht alle evangelischen Abendmahlsfeiern seit der Reformation ungültige Abendmahlsfeiern gewesen sein können.
Ich hätte mir denken können, dass er – wenn ihn auch die deutschen Gesprächspartner rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht hätten – auch etwas hätte sagen können zu der ungeheuren Priesternot, die wir haben, die ja im Grunde nur eine Not ist an unverheirateten Priestern. Er hätte etwas sagen können zur Not der Gemeinden. Er hätte etwas sagen können zu all dem, was gerade unsere junge Generation bewegt, dass die Kirche sehr oft in Fragen der Sexualität, der Partnerschaft, der Freundschaft kein Verständnis zu haben scheint.
Ich würde das alles nicht dem Heiligen Vater ankreiden, aber ich glaube, es wäre Aufgabe der deutschen Partner gewesen, ihn auf diese Fragen so vorzubereiten, dass er in seiner Menschenfreundlichkeit hätte eine menschenfreundliche und christliche Antwort geben können.«
Der Moderator hatte natürlich damit gerechnet, dass ich, da man mir keine Uhr hingestellt hatte, die zwei Minuten überziehen würde. Doch – auf die Sekunde schließe ich. »Genial!«, war Casdorffs spontaner Ausruf, und das Publikum klatschte heftig. Die Zeitungskommentare der Presse zu der weit beachteten Sendung waren – wenn man von der ultrakonservativen »Bildpost« aus Lippstadt (mit erfreulich geringer Auflage) absieht – positiv. Doch ein Kommentator meinte dennoch anmerken zu müssen: »Da ist gewiss auch Eitelkeit im Spiel, wenn er (Küng) vom Papst unmittelbar gehört werden will.« Wirklich?
Mehr als 33 Jahre später kann man zwei Beobachtungen machen: Erstens, es hat mir trotz der päpstlichen Strafaktion an persönlichem Wohlwollen gegenüber dem Papst nicht gefehlt; ich werde auch später seine positiven Leistungen nicht verkennen. Und zweitens, alle damals angesprochenen Probleme sind noch immer nicht gelöst; ich werde sie deshalb immer wieder in Erinnerung rufen müssen.
Ökumenisch folgenlose Papstreisen
Das ökumenische Bewusstsein an der Basis bei Katholiken und Evangelischen ist nach wie vor stark. Da empfindet man es im Kontrast zur römisch-katholischen Hierarchie weithin als anachronistisch, in getrennten Kirchen sich gegenseitig zu »exkommunizieren«, statt miteinander zu kommunizieren – und dies angesichts der ungeheuren Nöte der Ersten, Zweiten und Dritten Welt.
Doch dieser wieder betont römisch gesinnte Papst spricht zwar ständig von ökumenischer Verständigung, aber selbstverständlich (freilich meist unausgesprochen) zu römischen Bedingungen, nämlich unter der Voraussetzung der Anerkennung der päpstlichen Oberhoheit in Leitung und Lehre. Deshalb nimmt der Papst die anderen Kirchen und ihre Führer meist nur am Rande zur Kenntnis: Statisten zur triumphalen päpstlichen
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